Wie eine einfache Idee die Werbewelt revolutionierte
Die Verbindung zwischen Zürich und YouTube ist eine Geschichte der Innovation und des Wandels in der digitalen Medienwelt. Seit 2006 unterstützte ein Team um Reto Strobl die Entwicklung völlig neuer Werbetechnologien, mit der Werbeclips erstmals übersprungen werden konnten. Sie trugen entscheidend dazu bei, dass YouTube weltweit für Zuschauer*innen, Creators und Unternehmen gleichermassen attraktiv ist.
Als Reto Strobl 2006 zum ersten Mal beruflich mit YouTube in Kontakt kam, war die Plattform noch keine zwei Jahre alt. Sie hatte bereits 70 Millionen User*innen, war gerade von Google übernommen worden, aber steckte tief in den roten Zahlen. „Es gab nur ein paar Werbeanzeigen auf der Seite und weltweit eine einzige Person, die diese verkaufte“, erinnert sich der an der ETH Zürich ausgebildete Informatiker mit Bündner Wurzeln. Das bedeutete auch: Wer Videos produzierte und hochlud, konnte damit kein Geld verdienen. Reto Strobl, der seit der Eröffnung des Standorts Zürich bei Google arbeitete, bekam den Auftrag, bei dieser Veränderung zu unterstützen.
Im Mittelpunkt stand dabei kreatives Wachstum: Das Team, das Strobl aufbaute, sollte ein für Unternehmen attraktives Werbeprodukt entwickeln, dessen Erträge mit den Creators, also den Video-Produzierenden, geteilt werden. Diese Creators, so die Idee, würden dann mehr Inhalte produzieren, dadurch mehr Zuschauende anziehen, die wiederum die Reichweite erhöhen und dadurch höhere Werbebudgets bringen. Davon könnten mehr Creators profitieren und ein noch grösseres Publikum ansprechen und so weiter. „Dieser Ansatz, ein nachhaltiges Ökosystem aus Creators, Nutzer*innen und Unternehmen zu bauen, hat mich von Anfang an fasziniert“, sagt Strobl.
Nur: Wie sollte dieser Plan aufgehen? Für Strobl und sein Team war schnell klar: Bei fünfminütigen YouTube-Videos würden 30-sekündige Werbeclips, wie sie im TV üblich waren, zu viele User*innen stören und das Wachstum der Plattform bremsen. Also entwickelte das Team eine damals revolutionäre, überspringbare Variante: Die Zuschauenden können nach fünf Sekunden selbst entscheiden, ob sie die Werbung weitersehen – und die Werbetreibenden bezahlen nur, wenn der Clip bis zum Ende geschaut wird. „Für uns war das die ideale Balance zwischen Nutzungsfreundlichkeit und Werbeeffektivität“, sagt Strobl über das Werbeformat, das den Namen „TrueView“ bekam – und zu einer grossen Erfolgsgeschichte wurde, die bis heute andauert.
Nach anfänglicher Skepsis nahmen immer mehr Werbetreibende TrueView an, auch weil immer mehr Menschen die Werbeclips nicht übersprangen: Inzwischen wird ein erheblicher Teil der überspringbaren Anzeigen zu Ende geschaut, und die Plattform insgesamt hat sich stark entwickelt. Viele Creators verdienen mit dem Content, den sie für YouTube erstellen, Geld: In den vergangenen drei Jahren hat YouTube mehr als 30 Milliarden US‑Dollar an Creators, Künstler*innen und Medienunternehmen ausgezahlt.1 Das vielfältige Angebot zieht wiederum immer mehr User*innen an. Heute loggen sich jeden Monat weltweit 2 Milliarden Menschen bei YouTube ein und schauen sich dort das an, was sie interessiert – zu jeder Zeit und auf jedem beliebigen Gerät.2
Einer der Schweizer Creators, die von der Monetarisierung profitieren, ist Andri Ragettli. Mit knapp 700’000 Abonnenten (Stand Oktober 2023) zählt sein YouTube-Kanal zu den grössten in der Schweiz. Ragettli ist Profi-Freeskier und mehrfacher Slopestyle Weltcup-Gesamtsieger. Neben spektakulären Sprüngen im Schnee sind seine Parcour-Videos sehr beliebt. Ein Shorts Video, also Kurzfilm auf YouTube, in dem er vom Bett aus ohne Bodenberührung über Bälle, ein Skateboard und das Balkongeländer balanciert und am Ende im Swimmingpool landet, erreichte binnen sechs Wochen mehr als 200 Millionen Aufrufe. „Diese Videos erfordern viel Vorbereitung“, erklärt Ragettli. „Aber für mich sind sie auch Challenges und eine Form von Training.“ Zudem nutzt er die Plattform, um mit seinen Fans zu interagieren und seine Anhängerschaft weltweit zu vergrössern. In einer Videoblog-Serie gewährt er ihnen Einblicke in seinen Alltag als Leistungssportler, und in einer aufwendigen Dokumentation können sie ihn beim harten Weg zum Comeback nach einer schweren Verletzung begleiten.
Als Spitzensportler ist Ragettli womöglich weniger als andere Creators auf die geteilten Werbeeinnahmen angewiesen. Doch auch ihm helfen sie dabei, seinen Traum zu leben. „Ich finde es extrem cool, dass ich Videos posten kann und mit dem Geld, das ich dafür bekomme, einen Teil meiner Ausgaben decken kann“, sagt Ragettli, dem seine YouTube-Popularität zudem zu besseren Sponsorings verhilft. Noch liegt der Fokus des Bündners klar auf dem Skisport, für den er täglich mehrere Stunden trainiert und während der Saison permanent unterwegs ist. Aber er sieht seine Videos als zweites Standbein, das er in Zukunft ausbauen möchte. „Mir macht das unglaublich viel Spass“, sagt er. „Ich stehe gern im Rampenlicht und liebe es, andere Menschen zu inspirieren.“
Tatsächlich suchen laut einer aktuellen Studie, die Anfang 2023 von Google in Zusammenarbeit mit Cint und Differentology durchgeführt wurde, die meisten Zuschauenden Unterhaltung und Inspiration auf YouTube, aber auch Lerninhalte und Anleitungen sind vielen wichtig. In der Schweiz sind 86 Prozent der YouTube-User*innen laut einer Umfrage von Kantar der Ansicht, dass die Plattform Inhalte bietet, die sie sonst nirgendwo finden. Auch die dort ausgespielte Werbung hat einen guten Ruf: 77 Prozent der Schweizer YouTube-Nutzenden halten Werbevideos auf der Plattform für vertrauenswürdig.3 Laut einer Untersuchung von Kantar4, im Auftrag von Google, ist YouTube für Nutzer*innen in der Schweiz die Hauptinformationsquelle, um auf neue Produkte und Marken aufmerksam zu werden.
30 Milliarden
US-Dollar. Mehr als diese Summe hat Google in den vergangenen drei Jahren an Creators, Künstler*innen und Medienunternehmen ausgezahlt.
Quelle: Google Interne Daten, 2020
77 Prozent
der Schweizer YouTube-Nutzer*innen halten Werbevideos auf der Plattform für vertrauenswürdig.
Quelle: Kantar 3P survey, 2023
Für Martin Pally, Head of Campaigns bei Schweiz Tourismus, sind Zahlen wie diese wichtig. Gemeinsam mit seinem Kollegen und Head of Media Dominic Stöcklin entwickelt er Werbung, die Reisende aus aller Welt für die Schweiz begeistern soll. YouTube habe sich dafür als ideale Plattform erwiesen, erklärt Stöcklin: „Nur dort kann ein kleines Marketingunternehmen wie Schweiz Tourismus effizient eine Videokampagne in nahezu 200 Ländern laufen lassen.“ Der Einkauf von Videowerbung auf traditionellen Kanälen über Vermarktungsgesellschaften und Media-Agenturen auf der ganzen Welt ist dagegen nicht praktikabel für ein kleines Unternehmen.
Die Kampagne, in der Ex-Tennisprofi Roger Federer in humorvollen Stories mit Hollywood-Stars wie Robert De Niro, Anne Hathaway oder Trevor Noah zu sehen ist, hat zahlreiche Preise gewonnen – und eine immense Werbewirkung erzielt. Die Spots wurden weit über 200 Millionen Mal aufgerufen, und allein das Video mit Robert De Niro brachte laut Schweiz Tourismus etwa 1,4 Milliarden unbezahlte Medienkontakte ein, dies aufgrund dessen, dass Medien in aller Welt darüber berichteten. Schweiz Tourismus nutzt sowohl Videos über mehrere Minuten als auch sechs und 15 Sekunden kurze Shorts. Entscheidend ist aber die kreative Idee, sagt Martin Pally: „Die Menschen erinnern sich nur an Werbeclips, die aus der Fülle der Werbevideos herausstechen.“
Reto Strobl, heute Senior Engineering Director YouTube Ads, sieht solche Erfolgsgeschichten auch als Bestätigung seiner Arbeit. „Es erfüllt mich mit Stolz zu sehen, wie sich unser nachhaltiger Ansatz ausbezahlt hat und wir die komplizierte Balance zwischen Publikum, Creators und Werbetreibenden halten konnten“, sagt er. Inzwischen unterstützen weit über hundert Entwicklerinnen und Entwickler in Zürich bei YouTube-Werbeprodukten. Nach TrueView arbeiteten die hiesigen Teams an vielen weiteren Innovationen, die Videowerbung besser messbar machen, an Formaten wie sechssekündigen „Bumper“-Werbevideos und an Massnahmen, die das Vertrauen und die Sicherheit auf der Plattform erhöhen. Mithilfe von Content ID zum Beispiel können Rechteinhaber verhindern, dass neue Videos ihre Rechte verletzen. Dafür wird jedes Video vorab automatisch und binnen Sekunden mit Videomaterial im Umfang von 600 Jahren abgeglichen und auf Copyright-Verletzungen geprüft. Dazu muss man wissen: Jede Minute wird Material im Umfang von 500 Stunden auf der Plattform hochgeladen. Weitere KI-basierte Systeme stellen sicher, dass die hochgeladenen Inhalte die YouTube Content Policies nicht verletzen.
„Generative KI-Tools werden es immer leichter machen, hochwertige Werbevideos zu erstellen. Dadurch können auch viele kleinere Schweizer Unternehmen ihre innovativen Ideen noch besser als bisher bekannt machen.“
Reto Strobl, Senior Engineering Director YouTube Ads
KI, davon ist Reto Strobl überzeugt, wird für die weitere Entwicklung von YouTube eine wichtige Rolle spielen, nicht nur mit Blick auf Sicherheit. Gerade die Wirtschaft könne stark von neuen technischen Möglichkeiten profitieren. „Generative KI-Tools werden es immer leichter machen, hochwertige Werbevideos zu erstellen“, sagt er. „Dadurch können auch viele kleinere Schweizer Unternehmen ihre innovativen Ideen noch besser als bisher bekannt machen.“
Fotos: Dan Cermak (4), Gian Ragettli (1); Screenshots: YouTube/Andri Ragettli, YouTube/MySwitzerland
Quellen: 1Google Interne Daten 2020; 2Global Google Interne Daten, 2022; 3Kantar 3P survey, 2023; 4Kantar 3P survey, 2023, SE, n=2196 gen pop 18-64