» Wir sollten auf klassische Bildung setzen «

Wie bringen wir künstlichen Intelligenzen unsere Werte bei? Und vor allem: Wie bereiten wir uns auf einen von Computern beeinflussten Alltag vor? Ein Gespräch mit Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats

Herr Dabrock, Microsoft-Präsident Brad Smith schlägt einen Verhaltenskodex für Programmierer vor, um künstliche Intelligenz in Schach zu halten. Ist das eine gute Idee?

Den Gedanken, dass Programmierer sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst werden müssen, finde ich extrem bedeutsam. Mediziner müssen ja auch in allen Phasen ihrer Ausbildung Ethikkurse belegen. Das ist Standard, weil wir damit rechnen, dass ein Arzt in seinem Leben mehrfach in kritische Situationen kommt. Und jetzt denken Sie an Google oder Facebook – dort haben Programmierer Einfluss auf das Leben von Milliarden von Menschen! Dabei sind die meisten Programmierer eher unbedarft in ihrer moralischen Reflexion und folgen einfach ihrer Intuition. Ich plädiere seit Jahren dafür, verpflichtende Ethikkurse für Programmierer einzuführen.

Wie beeinflusst es unser Menschenbild, wenn wir versuchen, das Verhalten von Menschen mit Algorithmen zu berechnen?

Ein Hype in der Medizin ist die datengetriebene »Precision Medicine«: Man will Diagnosen präziser stellen und daraufhin Therapien optimieren. Mit dem Menschen an sich aber hat das kaum zu tun. Ich habe nichts gegen Quantifizierungen, wenn sie als Element der Orientierung, des Ordnung-Schaffens dienen. Ich habe nur etwas dagegen, wenn Quantifizierung als das Maß aller Dinge gilt. Als Gesellschaft müssen wir alles daransetzen, dass der Einzelne nicht in Quantitäten aufgeht. Denn dann wird die Individualität, die jeder über das Maß des Berechenbaren besitzt, nicht mehr berücksichtigt.

Wie bringt man selbstlernende Systeme dazu, unsere Werte zu teilen?

Erst einmal müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir in einer wertepluralen Gesellschaft leben – dass wir zwar bei uns in Deutschland immer noch einen breiten Konsens über bestimmte Grundorientierungen haben, dass aber selbst diese an den Rändern ausfransen. Beim autonomen Fahren zum Beispiel werden wir deswegen nicht umhinkommen, neben allgemeinen Rechtsgrundlagen auch persönliche Werteüberzeugungen in die Programmierung zu integrieren.

Wir sollten uns peu à peu mit dieser neuen Kulturtechnik vertraut machen

Peter Dabrock Deutscher Ethikrat

Was meinen Sie damit?

Ich kann mir vorstellen, dass künftig jeder, der ein selbstfahrendes Auto besteigt, in eine App seine moralischen Präferenzen eingeben muss.

Der Fahrer müsste also entscheiden, ob er im Notfall auf eine Gruppe Senioren, auf ein Kind oder eine Wand zufahren würde?

Vorsichtiger gesagt: Man müsste im Vorfeld darüber Rechenschaft ablegen, wie man eine solche Situation bewerten würde. Parallel zum Führerschein sollte dann vielleicht ein Ethikkurs Pflicht sein, bevor man Halter eines autonomen Fahrzeugs werden darf. Bevor es aber um solche konkreten Fragen geht, sollten wir uns erst einmal peu à peu mit dieser neuen Kulturtechnik vertraut machen.

Das fällt vielen nicht leicht. Was kann denn jeder Einzelne von uns tun, um sich auf einen von KI beeinflussten Alltag vorzubereiten?

Oft wird gesagt: Lernt programmieren! Allerdings muss natürlich auch nicht jeder wissen, wie ein Auto zu reparieren ist, wenn er gut Auto fahren will. Ich schlage eine Doppelstrategie vor: Einerseits brauchen wir – wie der Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen fordert – ein kombiniertes Unterrichtsfach aus Medientheorie, Ethik, Psychologie und Grundkenntnissen der Programmierung. Das gewährleistet erste Orientierungsfähigkeit in der medialen Welt, insbesondere bei der Social-Media-Nutzung. Andererseits sollten wir auf klassische Bildungselemente setzen.

Warum?

Sie vermitteln, was ich Differenzkompetenz und Ambiguitätssensibilität nenne – dass man achtsam wird oder bleibt für die feinen Unterschiede, für nicht eindeutige Sachverhalte und individuelle Besonderheiten. Die Bibel, Goethes Faust, Mathematik, zwei Fremdsprachen, Musik und Sport – das scheint mir ein gutes Paket zu sein, um mit den Herausforderungen zurechtzukommen, die durch künstliche Intelligenz entstehen.

Fotografie: Verena Brüning

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