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»Die Offenheit ist entscheidend«

Vinton G. Cerf gilt als einer der Väter des Internets und ist Chief Internet Evangelist bei Google. Im Gespräch erzählt der Miterfinder der Kommunikations­protokolle TCP und IP, welche Rolle Suchmaschinen für die Entwicklung des World Wide Web spielten und vor welchen Herausforderungen das Netz heute steht

Herr Cerf, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie zum ersten Mal dachten: Das Internet funktioniert?

Daran erinnere ich mich noch sehr gut, es war der 22. November 1977. Bob Kahn und ich hatten seit 1973 daran gearbeitet. An jenem Tag wollten wir von Washington, D.C. aus beweisen, dass sich drei verschiedene Netzwerke – Funk, Satellitennetz und ARPANET – zu einem Internet zusammenschließen lassen. Mithilfe des TCP/IP-Protokolls schickten wir Daten von einem Van in Kalifornien durch die USA und über Satelliten nach Europa und zurück. Als das geklappt hatte, war ich überzeugt, dass wir die Funktionsfähigkeit des Internetprotokolls bewiesen hatten. Das war sehr aufregend – auch wenn es noch Jahre dauerte, ehe wir das Internet wirklich einschalten konnten.

Hätten Sie sich damals träumen lassen, dass einmal Milliarden Menschen das Internet nutzen würden?

Rein technisch konnte ich mir das gut vorstellen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, wir sahen die spätere Popularität exakt vorher. Allerdings hatten wir beim Internet-Vorläufer ARPANET schon die starken sozialen Effekte bemerkt, die aus elektronischer Kommunikation entspringen. ARPANET wurde nur vom Militär und von Forschungseinrichtungen genutzt, aber das große Potenzial für zivile Zwecke war erkennbar. Dass das Internet später der Öffentlichkeit dienen konnte, lag an seiner offenen Architektur. Wir wählten sie, weil uns klar war, dass neue Anwendungen und Kommunikationstechnologien kommen würden. Wir wollten mit dem Internetprotokoll maximale Flexibilität für neue Entwicklungen bieten.

» Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, wir sahen die spätere Popularität exakt vorher «

»Dass das Internet später der Öffentlichkeit dienen konnte, lag an seiner offenen Architektur. Wir wählten sie, weil uns klar war, dass neue Anwendungen und Kommunikationstechnologien kommen würden«: Vinton G. Cerf zu Hause in Virginia.

Wann wurde Ihnen klar, dass das Internet eine Art von Suche brauchen würde?

Tim Berners-Lee startete das World Wide Web 1989 im CERN. Für die Allgemeinheit sichtbar wurde es Ende 1991, und auch da nur für wenige. Erst dank dem von Marc Andreessen und Eric Bina entwickelten Browser »Mosaic« nahm 1993 die Zahl der Webseiten rapide zu. Von da an war klar, dass es eine Indizierung für die Inhalte des World Wide Webs braucht, um etwas zu finden. Nach und nach kamen daraufhin die Suchmaschinen AltaVista, Yahoo und Google ins Spiel.

Welche Rolle spielte Google für die Entwicklung des Internets?

Eine unglaublich wichtige. Die Mission, das Wissen der Welt zu organisieren und universell zugänglich zu machen, ist bis heute der wichtigste Antrieb von Google. Damals aber war die Methode entscheidend, auf die Google setzte. Am Anfang stand ein Index, der alle Seiten und Wörter des Netzes erfasst. Aber wenn zehn Milli­onen Seiten einen Begriff enthalten, kommt es auf die Reihenfolge an, in der sie präsentiert werden. Larry Page und Sergey Brin lösten das mit ihrer PageRank-Idee. Danach werden die Seiten zuerst angezeigt, auf die im Internet über Verlinkungen von anderen Seiten am häufigsten verwiesen wird. Heute basiert die Reihenfolge auf Hunderten Indikatoren. Um 1998 aber führte die Metrik dazu, dass Google bessere Suchergebnisse lieferte als andere Suchmaschinen.

Erinnerungen von Vinton G. Cerf Erinnerungsfotos von Vinton G. Cerf

Erinnerungsbilder mit US-Präsident Barack Obama und Königin Elisabeth II.: Ein Blick auf die Memorabilien von Vinton G. Cerf, einem der »Väter des Internets«.

Google steht für offenen Zugang zu Informationen. Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, dass das Internet für alle offen ist?

Das ist absolut entscheidend, denn nur deshalb konnten unzählige Unternehmen und Innovationen entstehen. Denken Sie etwa an die Rolle, die das Internet während der Corona-Pandemie spielt, etwa bei der Forschung und dem Austausch zur Impfstoffentwicklung. Das ganze Internet und seine Anwendungen konnten sich nur so weit entwickeln, weil die Protokolle offen sind, aber auch weil Organisationen wie die Internet Engineering Task Force für alle zugänglich sind. Ebenso wichtig ist aber der freie Fluss von Information über das Internet auf globaler Ebene: Er ist elementar für Cloud Computing, über das heute ein Großteil der Rechenleistung erfolgt.

Sind Sie zufrieden damit, wie sich das Internet in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat?

Ich bin sehr froh darüber, wie stark es in jeder Hinsicht gewachsen ist – ganz gleich ob wir auf die Zahl der Anwender, die Netzwerke oder die Bandbreite schauen. Andererseits gibt es sehr verstörende Entwicklungen. Desinformation in sozialen Medien zum Beispiel kann negative gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen haben, die kaum vorhersehbar waren.

Wie lassen sich Probleme wie Desinformation oder Hassrede im Internet lösen?

Manche sagen, dass künstliche Intelligenz das lösen wird, aber das glaube ich nicht. Techno­logiekonzerne sollten Werkzeuge bauen, die den Menschen helfen, sich im Internet zu schützen. Zugleich sind Menschen für ihr Handeln verantwortlich, und ihrem Verhalten müssen Grenzen gesetzt werden. Das geht nur über internationale Zusammenarbeit, denn Täter und Opfer können in unterschiedlichen Ländern sitzen.

» Eine spannende Entwicklung ist die interplanetare Ausweitung des Internets, an der ich seit 1998 mitarbeite «

Wie wird sich das Internet in Zukunft verändern?

Der wichtigste Trend ist, dass es dank techno­logischer Fortschritte schneller und auch in abgelegenen Regionen besser zugänglich sein wird. Eine besonders spannende Entwicklung ist die interplanetare Ausweitung des Internets, an der ich seit 1998 mitarbeite. Wir sind auf einem guten Weg, Netzwerkprotokolle für Datenübertragungen innerhalb des Sonnen­systems zu standardisieren.

Wie verändert sich die Suche im Internet?

Sie reagiert stärker semantisch auf Anfragen. Früher ging es um Schlüsselwörter und darum, auf welchen Seiten sie vorkommen. Heute versucht das System, die Bedeutung einer Suchanfrage zu verstehen. Immer häufiger verweist es nicht nur auf Seiten, sondern versucht, eine passende Antwort zu liefern – zum Beispiel in Infokästen am Kopf der Trefferseite. Die Internetsuche wird zudem kollaborativer: Sie wird immer leichter zugänglich, etwa über Sprache und alle möglichen Arten von Geräten, die inzwischen online sind – vom smarten Lautsprecher bis zum Automobil.

Fotos: Jared Soares

Glossar

ARPANET
Das Computer-Netzwerk ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network) gilt als Vorläufer des Internets. Es verband ab 1969 amerikanische Universitäten, die für das US-Verteidigungsministerium forschten.

TCP/IP
Kommunikationsprotokolle legen die Regeln für den Datenaustausch zwischen mehreren Parteien im Internet fest – zum Beispiel, wie eine Botschaft formatiert ist. Die wichtigsten Protokolle sind TCP und IP. TCP/IP steht für »Transmission Control Protocol/Internet Protocol« und bezeichnet eine Gruppe von Kommunikationsproto­kollen, die den Daten­austausch zwischen zwei Geräten über ein Netzwerk ermöglichen. Die Protokolle sind so standardisiert, dass sie unabhängig von Betriebssystem und Hardware funktionieren. Dank der IP-Adresse wird das Datenpaket an den richtigen Empfänger geschickt; TCP baut die Verbindung zwischen den beteiligten Geräten auf und hält die Übertragung aufrecht.

IP
Das Internetprotokoll (IP) ist als offener Standard konzipiert. Es funktioniert unabhängig vom Netzwerk, das Datenpakete überträgt, sowie von den Inhalten dieser Datenpakete. In Verbindung mit der Tatsache, dass das Internet keinen »Eigen­tümer« hat, der neue Anwendungen genehmigen oder verbieten kann, ist das eine wichtige Grundlage für Innovationen.

Internet
Das Internet, eine Weiterentwicklung des ARPANET, ist ein weltweiter Verbund von Rechnernetzwerken. Rechner, die über das Internet miteinander verbunden sind, tauschen Daten über standardisierte Internetprotokolle aus. Wichtige Internetdienste sind das World Wide Web (WWW) und E-Mails.

CERN
Das CERN ist eine Großforschungseinrichtung in der Nähe von Genf. Tim Berners-Lee entwickelte hier die Grundlagen des World Wide Web – ein System von Webseiten, die über Hyperlinks miteinander verknüpft sind.

Internet Engineering Task Force
Die Internet Engineering Task Force (IETF) ist eine große, offene internationale Community, die sich mit der Weiterentwicklung des Internets und seinem reibungslosen Betrieb befasst.

Cloud Computing
Beim Cloud Computing (Rechnerwolke) werden IT-Leistungen wie Datenspeicher, Server oder Programme bedarfsgerecht über das Internet bereitgestellt. Die eigentliche Rechen- und Speicherleistung findet nicht mehr auf den Geräten der einzelnen Anwender statt, sondern in geteilten Rechenzentren in aller Welt.

Interplanetares Internet
Das interplanetare Internet ist eine geplante Ausweitung des Internets zur Datenübertragung im Weltall. Weil TCP/IP über die enormen Distanzen zwischen Planeten nicht funktioniert, mussten dafür neue Protokolle entwickelt werden.

Semantische Suche
Bei der semantischen Suche steht die inhaltliche Bedeutung einer Anfrage im Mittelpunkt.

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