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Nachhaltiger Neustart

Schon vor Beginn der Pandemie zeigten Studien, wie wichtig Kundinnen und Kunden eine umweltfreundliche Wirtschaftsweise ist. Die Erfahrungen der vergangenen Monate belegen: Der Trend beschleunigt sich. Was kann der Handel tun? Fünf Impulse und Ideen

Der Bäckereibetrieb »Ihr Bäcker Schüren« in Hilden betreibt 20 Filialen und will ab 2022 klimaneutral produzieren. Schon jetzt trennen das Unternehmen nur noch wenige Prozent vom Ziel. »Wir überzeugten 2009 unseren Ofenhersteller, mit uns als Praxispartner die Entwicklung einer Pilotanlage für Biomassekessel umzusetzen. Bei dieser neuen Technologie der Firma Heuft Backofenbau wird der fossile Brennstoff Gas zu 100 Prozent durch Biomasse ersetzt«, erklärt Roland Schüren, der die Bäckerei in vierter Generation leitet. »In unserer Anlage wurden die technischen Voraussetzungen für eine bis zu 30-prozentige Beimischung von Altbrot zu Holzpellets erprobt. Dieses Pilotprojekt wurde jedoch aufgrund von zu hohen Dioxid-Werten wieder gestoppt. Aktuell läuft die Anlage mit 100 Prozent Holzpellets.« Außerdem setzt Schüren auf Wärmerückgewinnung und eine Solaranlage. »Wir achten in vielen Bereichen darauf, Dinge so zu machen, dass sie für die Umwelt möglichst verträglich sind«, so der Bäckermeister, der für sein Engagement mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wurde. Unabhängig von der Betriebsgröße zahlen sich Energiesparmaßnahmen aus: Wärmeschutzverglasungen, LED-Lampen oder effiziente Kühlsysteme senken beispielsweise den Verbrauch. Mit einer modernen, per App gesteuerten Klimaanlage lassen sich bis zu 40 Prozent Strom und damit Energiekosten einsparen. Zusätzlich empfehlenswert: der Umstieg auf Ökostrom.

Bei Lebensmitteln achten Verbraucher besonders auf das Thema Nachhaltigkeit. Doch vor allem dort offenbart sich ein Problem: Der Naturschutzbund Deutschland stellte zum Beispiel vor drei Jahren fest, dass 63 Prozent des Obst- und Gemüseangebots im Lebensmitteleinzelhandel vorverpackt sind. Viele Supermärkte bieten Obst und Gemüse nun lose an und verkaufen zusätzlich passende Mehrwegbeutel. Außerdem gewinnen Unverpackt-Läden an Zuspruch: »Original Unverpackt« in Berlin, »Frau Lose« in Dortmund, »Einzelhandel – Zum Wohlfüllen« in Münster oder die »AuffüllBar« in Neuburg an der Donau sind Beispiele. In den Regalen der Geschäfte lagern Reis und Mehl, Obst und Gemüse, Waschmittel und Seife – plastikfrei und unverpackt. Kundinnen und Kunden bringen ihre eigenen Behälter mit oder leihen sich vor Ort gegen Pfand Schüssel oder Glas. Natürlich kann nicht jeder Lebensmittel- oder Drogerie­händler sein Sortiment auf diese Art umstellen. Aber das Thema Umverpackung und Verpackungsmaterial beim Einkauf mitzudenken und, wo möglich, Recyclingprodukte zu verwenden, kann sich angesichts veränderter Erwartungen als Wettbewerbsfaktor entpuppen.

Hendrik Mächler versteht seinen Laden »Gutes von hier« in Ulm als »regionale Speisekammer und Geschenkmanufaktur«: Gut 400 Produkte bezieht er direkt von schwäbischen Familienbetrieben, darunter Obstler, Linsen oder Dinkel-Spaghetti, die er nach Wunsch zu Geschenkkörben kombiniert. »Wir wollen eine Verbindung zwischen Verbrauchern und Produzenten schaffen und bringen regelmäßig Produzenten in den Laden, die Verkostungen anbieten.« Mächlers Geschäft startete als Webshop. »Aber als regionaler Anbieter müssen wir auch vor Ort präsent sein.« Seit 2015 betreibt »Gutes von hier« einen Laden, der auch im Lockdown geöffnet war. »In dieser Zeit zogen die Bestellungen im Onlineshop an – einige Firmen schickten Care-Pakete an Mitarbeiter im Homeoffice, das waren willkommene Aufträge.« Mächler beobachtet wachsendes Interesse, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit steigt. Allerdings räumt der Ulmer ein, dass nicht alle Händler mit Regionalität punkten können: »Der Bezug zur Heimat ist bei Lebensmitteln besonders ausgeprägt.«

Die Menschen in Deutschland verursachen pro Kopf und Jahr durchschnittlich 226,5 Kilogramm Verpackungsmüll – eine Menge, die auch dem boomenden Onlinehandel geschuldet ist. Händler, die diesen Müllberg reduzieren wollen, können den Materialeinsatz beim Versand überdenken. Sie können Füllmaterialien weglassen, auf Mehrfachverpackungen verzichten, möglichst kleine und dem Artikel angepasste Pakete oder Tüten verwenden und auf recycelbare Materialien achten. Die »Crea­paper GmbH« in Hennef zum Beispiel stellt Papier und Kartonagen aus getrocknetem Heu her. Manche Äpfel beim Discounter oder Pflege­produkte in Drogerien werden bereits in Grasverpackungen vertrieben. Wer seine Waren persönlich ausliefert, steigt dem Klima zuliebe am besten auf ein Elektrofahrzeug oder ein Lastenfahrrad um. Auch eine Alternative: CO2-neutralen Versandservice wie etwa DHL GoGreen, UPS carbon neutral, GLS KlimaProtect oder den klimaneutralen Dienst von DPD nutzen.

Milena Glimbovski gründete in Berlin mit »Original Unverpackt« einen der ersten Unverpackt-Läden Deutschlands, sie gilt als Pionierin der Bewegung. Der »Original Unverpackt«-Account auf Facebook zählt mehr als 77 000 Follower, jener auf Instagram über 51 000. »Ich bin mir sicher, dass unser Onlinemarketing viel zu unserem Erfolg beigetragen hat«, so Glimbovski. Heute nutzt sie diese Erfahrung und vermittelt Marketing­wissen in Workshops. Aus Sicht der Berlinerin war es nie so leicht, für die grüne Sache zu werben – egal ob in sozialen Netzwerken oder mithilfe eines Blogs. »Es ist außerdem hilfreich, sich Nachhaltigkeitsverbänden anzuschließen und sein Netzwerk zu erweitern«, sagt Milena Glimbovski. Gemeinsam sei man stärker, um Interessen gegenüber Partnern oder der Politik zu artikulieren. Zudem ließen sich kreative Kapazitäten bündeln. Wenn finanzielle Mittel vorhanden sind, könne man darüber nachdenken, sich für Siegel wie das B-Corp- oder das Gemeinwohl-Siegel zertifizieren zu lassen: Kunden erkennen dann schnell, dass das Unternehmen gut mit seinen Mitarbeitern und der Umwelt umgeht.

Text: Tatjana Krieger; Illustration: Stefan Mosebach

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