»Durch KI können wir vorhandene Ressourcen effizienter nutzen«

Künstliche Intelligenz (KI) führt zu klimafreundlicheren Entscheidungen, sagt Sebastian Pokutta. Im Interview erklärt der Mathematikprofessor und Vizepräsident des Zuse-Instituts, wo KI heute CO2 einspart und wieso Quantencomputer weiteren Schub bringen könnten

4 Minuten Lesezeit

Kann künstliche Intelligenz den Planeten retten, Herr Pokutta?

Sicherlich nicht alleine. Aber KI kann als extrem leistungsfähige Technik dabei helfen, den Klima­wandel zu bekämpfen – gemeinsam mit dem Menschen und der gesamten Gesellschaft.



Was kann KI besser als andere Technolo­gien oder Methoden?

Ich sehe KI nicht in Konkurrenz zu anderen Methoden und Technologien, sondern komplementär, als Ergänzung. Ganz grundsätzlich ist KI ein Multiplikator, der dabei hilft, aus Daten Einsichten zu erlangen und darauf basierend bessere Entscheidungen zu treffen.



Auch schnellere Entscheidungen?

Absolut. Große Teile des Forschungs- und Entwicklungszyklus für neue Technologien lassen sich durch KI-gestützte Verfahren deutlich verkürzen. Am sinnvollsten wirkt KI im Zusammenspiel mit Menschen oder Forschungsgruppen. Ihre große Stärke liegt darin, große und unstrukturierte Datensätze zu bearbeiten, zu analy­sieren, darin Muster zu erkennen.

Künstliche Intelligenz (KI oder AI)
beschreibt unterschiedliche Arten von Anwendungen, bei denen Computer Intelligenzleistungen wie Lernen, Urteilen oder Problemlösen erbringen.
Dr. Sebastian Pokutta

»Ganz grundsätzlich ist KI ein Multiplikator, der dabei hilft, aus Daten Einsichten zu erlangen und darauf basierend bessere Entscheidungen zu treffen«

Dr. Sebastian Pokutta, Mathematikprofessor TU Berlin

Quanten­computer
nutzen die Gesetze der Quantenmechanik und könnten komplexe Probleme deutlich schneller lösen als herkömmliche Computer. Noch befindet sich die hochleistungsfähige Technologie aber im Entwicklungsstadium.

Wie hilft das konkret im Kampf gegen den Klimawandel?

Aus den besseren Entscheidungen, die KI ermöglicht, resultiert typischerweise höhere Effizienz. Das führt häufig zu nachhaltigeren Prozessen mit niedrigerem Klimafußabdruck. Ein simples Beispiel ist der Transport von Paketen: Wenn der Lieferwagen dank KI effizienter beladen und mit mehr Paketen bestückt wird, sinkt der CO2-Ausstoß pro Paket. Wenn die KI kürzere und damit klimafreundlichere Routen für die Auslieferung errechnet, sinken die Emissionen weiter. Das ist nur ein kleiner Teilbereich der Logistik, in dem KI Ressourcen deutlich effizienter und klimafreundlicher zuteilen kann. Die weltweiten Lieferketten und Warenflüsse sind so komplex, dass bislang viele Schiffe und Lkw bei Leerfahrten unnötig CO2 ausstoßen – in manchen Wirtschaftsbereichen liegt die Leerfahrtenquote bei 30 Prozent.



KI zügelt also bestehende Emissionstreiber?

Ja, und es ist ein großer Vorteil, wenn sich bereits vorhandene Ressourcen effizienter nutzen lassen. Denn der Aufbau komplett neuer Verfahren dauert oft sehr lange, gerade in Deutschland.

Whiteboard mit Formeln

»Ein besserer Algorithmus kann die Trainingszeit für maschinelles Lernen reduzieren – und damit auch den CO2-Ausstoß«, sagt der Mathematiker Sebastian Pokutta.

Zuse-Institut Berlin

Das Zuse-Institut Berlin ist ein interdisziplinäres Forschungsinstitut für angewandte Mathematik und datenintensives High-Performance-Computing.

Was kann KI jenseits der Effizienzsteigerung beitragen?

Sie spielt beispielsweise eine wichtige Rolle bei der Beobachtung klimabedingter Veränderungen der Vegetation über Satellitenbilder. Und auf Basis großer Datenmengen ermöglicht sie Klimamodelle. Diese dienen als Grundlage dafür, künftige Klimaveränderungen zu bewerten und sich daran anzupassen. Zudem kann KI die Basis für Frühwarnsysteme vor Wetterkatastrophen bilden. Natürlich setzen auch auf Nachhaltigkeit fokussierte Start-ups KI ein, wenn sie zum Beispiel an Methoden arbeiten, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen.



Wird KI noch mehr bewirken können, falls in einigen Jahren Quantencomputer existieren, die um ein Vielfaches leistungsfähiger sind als heutige Rechner?

Ja, denn aktuell begrenzt die Rechenpower die Möglichkeiten der KI. Sobald durch Quantencomputing erheblich mehr Leistung zur Verfügung steht, können wir einerseits mehr machen, also größere Modelle trainieren, die auf mehr Daten basieren. Mindestens genauso wichtig ist der Zeitfaktor. Denn derzeit ermöglicht KI strategische Vorausplanung, aber selten Plananpassungen in Echtzeit.

Maschinelles Lernen
ist ein Teilgebiet der künstlichen Intelligenz. Es beschreibt, wie Computer aus Daten und Erfahrungen lernen, um bestimmte Aufgaben immer besser ausführen zu können.
Dr. Sebastian Pokutta

Sebastian Pokutta lehrt und forscht als Mathe­matikprofessor an der TU Berlin an der Schnittstelle zwischen künstlicher Intelligenz und Optimierungsverfahren. Zudem ist er Vizepräsident des Berliner Zuse‑Instituts, einer interdisziplinären Forschungseinrichtung für angewandte Mathematik und datenintensives Hochleistungsrechnen.

Wofür ist das relevant?

Ein Beispiel ist die Optimierung von Flugrouten, um weniger Treibstoff zu verbrauchen. Weil diese Routen vorausgeplant werden, sind sie auf dem Papier oft effizienter als in der Realität, wo eben nicht alles nach Plan verläuft. Mit massiv mehr Rechenpower ließe sich die Planung in Echtzeit anpassen, etwa wenn Wetterbedingungen sich plötzlich ändern. In einem völlig anderen Bereich wäre es denkbar, den bislang meist nur geschätzten CO2-Ausstoß von Produktionsstätten mithilfe von Satellitenbildern in Echtzeit zu messen und nachzusteuern. Aber die meisten Anwendungen, die durch Echtzeitauswertungen möglich werden, können wir uns heute noch gar nicht vorstellen.


Bislang aber hilft KI nicht nur, Treibhausgase einzusparen. Sie verursacht sie auch selbst, weil sie mit enormen Datenmengen arbeitet.

Es stimmt, die Digitalisierung braucht Strom, der CO2 verursacht. Aber: Ein konventioneller Prozess, der digital vernünftig abgebildet wird, hat danach einen niedrigeren Klimaabdruck. Zudem nutzen wir KI auch, um ihr technisches Rückgrat, die Datencenter, deutlich effizienter zu machen. Und wir arbeiten in Forschungsprojekten, etwa am Zuse-Institut Berlin, an der Optimierung von Algorithmen. Sie sind nämlich eine enorme Stellschraube für Nachhaltigkeit: Ein besserer Algorithmus kann die Trainingszeit für maschinelles Lernen um das Hundert-, Tausend- oder gar Zehntausendfache reduzieren – und damit auch den CO2-Ausstoß.

Fotos: Felix Brüggemann

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