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Psychologin Sandra Matz erforscht, welche Spuren wir online hinterlassen

Wie schützen wir uns im Digitalen?

Psychologin Sandra Matz erforscht, welche Spuren wir online hinterlassen, und Mark Risher kümmert sich bei Google darum, dass Nutzerkonten sowie persönliche Daten sicher und privat bleiben. Ein Gespräch über unsere digitale Identität – was sie ausmacht und wie wir sie am besten sichern

Frau Matz, Sie sind in einem kleinen Dorf im Süden Deutschlands aufgewachsen. Was haben Sie dort über Identität gelernt?

Sandra Matz: Individuelle Identität bedeutete dort einerseits, Teil einer gemeinschaftlichen Identität zu sein: Die Gruppe bot dir ­Sicherheit und Schutz, und wenn man sie brauchte, bekam man Empfehlungen und wertvolle Ratschläge. Das Leben auf dem Dorf bedeutet aber auch, dass die persönliche Identität sehr offenliegt.

Was sind Ihre Erfahrungen mit Identität, Herr Risher?

Mark Risher: Für mich ist immer die spannende Frage: Was ist mit Identität gemeint? Identität ist ein sich entwickelndes Konzept. Wir kennen natürlich den Moment, in dem uns jemand auffordert, unsere Identität mithilfe eines Ausweises zu belegen. Was ich spannender finde, vor allem für die Zukunft: Wie können wir im digitalen Raum wissen, mit wem wir gerade sprechen? Was macht dort unsere Identität aus?

Matz: Ich denke auch, dass wir unsere Identität ständig mit unserer Umwelt verhandeln. Der britische Philosoph Andy Clark sagte dazu kürzlich auf dem »World Frontiers Forum«: »Deine Identität ist Teil des mentalen Raums anderer.« Das ist eine wichtige Beobachtung, die nicht mal unbedingt ­digital gemeint sein muss. Im Dorf, in dem ich groß wurde, geschieht dieser Austausch, dieses Überlappen der Identitäten von alleine – etwa wenn ich beim Bäcker Brötchen kaufe und die Verkäuferin aus Erfahrung bereits weiß, was ich gern hätte. Jeder kennt jeden, jeder ist Teil des mentalen Raums des anderen.

Risher: Das ist interessant. Ich wuchs in ­Washington, D.C. auf, einer Großstadt, sehr ­anonym also. Ich kenne es nicht, zum Bäcker zu gehen und ungefragt das zu bekommen, was ich kaufen möchte.

Daten, die wir online hinterlassen, können mitunter sehr sensibel sein

Sandra Matz Psychologin

Was sind die Unterschiede zwischen Europa und den USA, wenn es um Identität geht?

Matz: In Deutschland ist man, anders als in den USA, sehr empfindlich, wenn es um die Privatsphäre geht. Dafür aber herrscht in Deutschland ein größeres Vertrauen in die ­Regierung – zumindest ist das mein Eindruck.

Risher: Ja, im Vergleich zu Europa ist Amerika noch sehr jung: Wo sich heute das Silicon Valley befindet, war vor 70 Jahren noch Ackerland. Europa hat einfach eine längere Geschichte, wenn es um Identität geht.

Sie blicken aus verschiedenen Perspektiven auf den Begriff Identität: Sie, Frau Matz, als Psychologin. Ihnen geht es um Kaufverhalten, Marketing, psychologische Zielgruppenansprache. Sie, Herr Risher, interessiert vor allem der Sicherheits­aspekt. Gibt es Schnittmengen?

Matz: Ich denke auch viel über Sicherheit und Privatsphäre nach und erkenne zwei Seiten einer Medaille. Die Menschen wollen einerseits Teil eines Kollektivs sein, in dem sie von anderen Menschen, aber auch von Unter­nehmen verstanden werden – sie schätzen es zum Beispiel, wenn sie vor Kaufentscheidungen Empfehlungen erhalten. Andererseits möchten sie nur so wenig Privates wie möglich teilen. Die Frage ist nun: Wie kann eine digitale Architektur aussehen, die ein Gleichgewicht zwischen beiden Bedürfnissen herstellt? Wie können wir jedem die Möglichkeit geben, dieses Gleichgewicht herzustellen und dabei sicher zu bleiben?

Wie könnte das gehen?

Matz: Mein Eindruck ist, dass nur wenige Nutzer die Privatsphäre -Einstellungen ihrer digitalen Anwendungen selbst setzen. Sie belassen die Einstellungen der Anbieter und ermöglichen zum Beispiel das Setzen von Cookies.

Europa hat eine längere Geschichte, wenn es um Identität geht

Mark Risher Sicherheitsexperte

Cookies sind kleine Textdateien, die eine Website auf dem Computer eines Nutzers hinterlässt. So kann sich der Browser an einen Nutzer erinnern und zum Beispiel die Adresseingabe vereinfachen. Herr Risher, Sie befassen sich bei Google mit der Sicherheit von Daten und der Privatsphäre der Nutzer. Wie blicken Sie auf das Thema?

Risher: Das Problem ist, dass Cookies für besseres Marketing und bessere Sicherheit gleichermaßen genutzt werden. Mit Cookies lässt sich zu Marketingzwecken das Verhalten von Nutzern verfolgen. Cookies sind aber auch ein wichtiges Werkzeug, um Sicherheit im Netz zu garantieren: Wenn ein Anbieter sicherstellen will, dass es Sandra ist, die sich gerade eingeloggt hat – und nicht jemand, der keinen Zugriff haben darf –, braucht er Cookies. Mit ihnen kann er Online-Aktivitäten einzelnen Nutzern zuordnen. Was die Privatsphäre-Einstellungen angeht: Wir raten unseren Nutzern, die Einstellungen ihres Google-Kontos zu prüfen und so anzupassen, dass sie sich damit wohlfühlen. Zum Google-Konto gelangt man in den meisten Anwendungen, indem man auf sein Profilbild klickt oder über meinkonto.google.de.

Frau Matz, als Wissenschaftlerin haben Sie eine Reihe von Studien geleitet, in denen es um digitale Identität und die damit zusammenhängende Kundenansprache ging. Können Sie das kurz erläutern?

Matz: Ich beschäftige mich mit der Personalisierung von Werbebotschaften auf Basis der Persönlichkeitsprofile von Kunden. Es geht mir um die Frage, ob sich menschliches ­Handeln mithilfe von Daten vorhersagen lässt. In unserer Forschungsarbeit stützen wir uns vor allem auf Facebook-Daten, es ­können aber auch andere sein.

Was lesen Sie aus diesen Daten?

Matz: Anhand dessen, was Menschen auf Facebook liken, können wir zum Beispiel he­rauslesen, ob sie eher introvertiert oder stärker extrovertiert sind. Mit diesem Wissen kann ein Produkt unterschiedlich beworben werden, indem man die Ansprache verändert – einmal für einen introvertierten Nutzer, einmal für einen extrovertierten Nutzer.

Die Teilnehmer des World Frontiers Forum – unter Ihnen Sandra Matz und Mark Risher – trafen sich 2019 in der Factory Berlin, einem Gebäudekomplex aus dem 19. Jahrhundert, in dem heute international bekannte Start-up-Unternehmen arbeiten.

Welches Ziel verfolgen Sie dabei?

Matz: Wir wollen erkunden, ob persönlichkeitsbasiertes Marketing die Effektivität steigern und zugleich die Kunden zufriedener ­machen kann.

Risher: Viele sorgen sich, ihre Identität würde gläsern: Was gebe ich preis, ohne zu wissen, dass ich etwas preisgebe? Worüber habe ich Kontrolle? Werde ich manipuliert?

Matz: Wir sagen den Menschen seit Jahren, dass ein Facebook-Like intimer ist, als sie annehmen. Daten, die wir online hinterlassen, können mitunter sehr sensibel sein.

Risher: In meinem Team arbeiten wir deshalb daran, den Nutzern Kontrolle und Transparenz über ihre Daten zu ermöglichen.

Herr Risher, Sie haben es angedeutet: Menschen haben Sorge, dass sie manipuliert werden können, wenn ihre digitale Identität zu sehr sichtbar wird.

Risher: Ja. Das führt uns zu der Frage, die wir immer wieder diskutieren müssen: Wie viel Transparenz wünschen sich Menschen, wie behalten sie die Hoheit über ihre digitale Identität – und wie erhält man dennoch den Nutzen der digitalen Anwendungen?

Matz: Ich denke, die Menschen müssen begreifen, was Daten Positives herbeiführen und wie sehr wir alle durch die Analyse von Daten profitieren. Warum funktioniert Google Maps? Weil viele, viele Daten analysiert werden.

Risher: Diese Vorteile müssen noch viel transparenter gemacht werden. Daran arbeiten wir.

Fotografie: Thomas Eugster

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