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Unerschlossene Möglichkeiten

Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach will die Chancen neuer Technologien vermitteln, Bürger lässt sie mit Videos an ihrem Alltag teilhaben. Ein Gespräch über den guten Umgang mit bewegtem Bild und Zivilcourage im Web

Frau Gerlach, welche Rolle spielen digitale Medien in Ihrem Leben?

Mich treffen Sie fast nie mit Koffern und Papierakten: Wo es geht, arbeite ich mit elektronischen Akten auf dem Tablet oder Smartphone. Außerdem nutze ich viel Videotelefonie, um mit meiner Familie und meinen beiden Kindern in Kontakt zu bleiben – die Interaktion mit Bild ist viel intensiver als nur am Telefon. Und natürlich spielen in meinem Alltag auch Social Media eine wichtige Rolle.

Inwiefern?

Social Media sind gerade für Politiker ein wichtiger, direkter Draht zu den Menschen. Ich nutze zum Beispiel ganz intensiv die Story-Funktion auf Instagram. Es ist eine schöne Gelegenheit, mithilfe von Fotos und Kurzvideos zu zeigen, was ich als Ministerin täglich mache und wie Politik funktioniert.

Sehen Sie selbst viele Onlinevideos?

Es gibt Situationen, in denen ich mir über Webvideos Hilfe hole. Ich erinnere mich an ein Tutorial für eine bestimmte Zopfflechtfrisur, die ich ausprobieren wollte. Immer wieder schaue ich mir auch Clips toller Redner bei Konferenzen an, um mich inspirieren zu lassen.

Viele Schüler bereiten mit Onlinevideos Schulstunden nach. Wie sehen Sie die Rolle von Bewegtbild im Bildungsbereich?

Es hat extrem an Bedeutung gewonnen. Kanäle wie Lehrerschmidt zum Beispiel, die dort Mathe- und Physikthemen nacharbeiten, haben mehr als 180 000 Abonnenten. Der Bedarf ist da. Allerdings laufen diese Videos in aller Regel auf Plattformen wie YouTube, die nicht nach pädagogischen Kriterien organisiert sind. Ich würde mir mehr solcher Videos auf Seiten wie der bayerischen Bildungsplattform »Mebis« wünschen, die Material und Werkzeug für die digitale Bildung bereitstellt. Dort kann dann ganz werbefrei und pädagogisch kontrolliert digitale Nachhilfe erteilt werden.

Eine Frau, viele Rollen: Judith Gerlach nutzt digitale Medien sowohl beruflich in ihrem Alltag als Ministerin als auch privat, um etwa unkompliziert mit ihrer Familie in Kontakt zu bleiben. Als zweifache Mutter hat sie zudem genaue Vorstellungen, wie man Kinder an das Internet und Onlinevideos heranführen sollte.

Als Digitalministerin begleiten Sie die Digitalisierung ganzer Branchen. Es gibt Fotos, auf denen Sie mit VR-Brille in eine Computerwelt tauchen. Welche Chancen sehen Sie in der virtuellen Realität?

Viele denken nur an Computerspiele, wenn sie eine VR-Brille sehen. Ich habe Produktionshallen besucht, in denen mit diesen Geräten gearbeitet wird: Auszubildende werden mithilfe einer solchen Brille an die Arbeit mit einer echten Maschine herangeführt. Fernwartungen werden durch diese Technologie vereinfacht.

... durch die VR-Brille kann ein Facharbeiter erkennen, was sein Kollege am anderen Standort gerade sieht – so kann er ihn zum Beispiel bei einer Reparatur anleiten.

Genau! Unternehmen bieten sich hier noch weitgehend unerschlossene Möglichkeiten. Meine Aufgabe ist es, die richtigen Stellen in Wirtschaft und Forschung zu verknüpfen: Bis 2020 gründen wir in Bayern drei Anwendungszentren für Extended Reality, also virtuelle und erweiterte Realität. Insgesamt fördern wir diese Technologien pro Jahr mit 1,5 Millionen Euro. Ziel ist es, die tollen Ergebnisse und Ideen aus Bayern auch bei bayerischen Betrieben und Unternehmen zur Anwendung zu bringen.

Vor der Europawahl sorgte der Webvideomacher Rezo mit seiner Kritik an der Klimapolitik der Regierung für Aufsehen. Vor allem die Tatsache, dass er auf YouTube so viele Zuschauer fand, überraschte. Wie sehen Sie die Debatte?

Ich bin froh um die Diskussion, die er in den Parteien angestoßen hat. Wie kommunizieren wir politisch? Im Bierzelt sind wir immer noch die Helden und wollen es auch bleiben. Ich selbst bin sehr gerne in Festzelten unterwegs, rede live auf der Bühne und treffe die Menschen vor Ort. Wir brauchen aber beides: Wenn man heutzutage Politiker ist und mit allen in Kontakt bleiben will, muss man sich auch in der digitalen Welt wohlfühlen. Wir müssen den digitalen Kommunikationsdialog einfach viel intensiver führen.

Wir müssen als Gesellschaft auch im Netz mehr Zivilcourage zeigen und einen unverschämten Post oder Kommentar auch als solchen bezeichnen – ob mit Nickname oder echtem Namen.

Sie stellen häufig kurze Videos online. Wie entstehen die?

Oft spontan, so wie kürzlich auf der Bergkirchweih in Erlangen: Ich saß mit Innenminister Joachim Herrmann im Riesenrad und interviewte ihn mit dem Handy. So macht es mir besondere Freude, das ist mein Verständnis von Authentizität.

Wie gehen Sie mit negativen Kommentaren neben Ihren Beiträgen um?

Wenn Posts missverstanden oder völlig falsch interpretiert werden, fange ich schon mal an, einzelne Formulierungen zu hinterfragen. So geht leider Echtheit verloren. Aber ich will keine Wölkchen um meine Aussagen basteln. Deshalb muss man einfach gelassen bleiben.

Einige Politiker fordern eine Klarnamen-Pflicht, um anonyme und gehässige Kommentare etwa unter Videos zu verhindern. Teilen Sie die Forderung?

Ich bin klar dagegen. Nur ein Beispiel: Wenn ich in einem Forum unterwegs bin und mich über eine Krankheit informieren möchte, will ich nicht, dass das mein Arbeitgeber mitverfolgt. Im strafrechtlichen Bereich haben wir gesetzliche Regelungen wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Wenn es Verstöße gibt, ist der Nutzer zu ermitteln, und es kann eine Anzeige folgen. Schwierig finde ich, wenn problematische Inhalte unkommentiert stehen bleiben. Wir müssen als Gesellschaft auch im Netz mehr Zivilcourage zeigen und einen unverschämten Post oder Kommentar auch als solchen bezeichnen – ob mit Nickname oder echtem Namen.

Die EU-Urheberrechtsreform hielt im Frühjahr die Politik in Atem. Viele fürchten, dass der Zensur der Weg bereitet werden könnte, wenn sogenannte Upload-Filter Inhalte vorsortieren.

Deshalb habe ich mich in der Debatte klar gegen Upload-Filter ausgesprochen. Sie können zu Zensur und zu übermäßigem Blockieren von Inhalten führen. Die EU-Richtlinie darf aber nicht auf die Upload-Filter reduziert werden. Es geht doch darum, kreative Inhalte zu schützen und zu vergüten, so wie es auch in der analogen Welt geschieht.

Es geht doch darum, kreative Inhalte zu schützen und zu vergüten, so wie es auch in der anlogen Welt geschieht.

Inwiefern?

Die europäische Richtlinie gibt einen Rahmen vor, der durch die Nationalstaaten mit Leben gefüllt wird. Deutschland hat die Möglichkeit, die Upload-Filter obsolet zu machen, indem wir zum Beispiel Vergütungskonstrukte bauen, die das Blockieren hinfällig machen. Wer mit dem geistigen Eigentum anderer Millionen verdient, muss auch dafür zahlen. Ich habe der Bundesregierung auch vorgeschlagen, eine Clearing-Stelle einzurichten, an die sich betroffene Nutzer wenden können, deren Inhalt fälschlicherweise geblockt wurde. Diese Stelle könnte helfen, Inhalte zügig freizuschalten, und wir bekämen ein Gefühl dafür, wie viel Blocking überhaupt stattfindet.

Sie haben eingangs davon gesprochen, dass Sie mit Ihren Kindern per Video telefonieren. Wie führen Sie die beiden an digitales Bewegtbild heran?

Beide sind noch sehr klein, aber ich würde ihren Zugang zu Tablet und Smartphone auf jeden Fall zeitlich beschränken und die Angebote nur mit ihnen gemeinsam erkunden. Wie funktionieren die Seiten? Was gibt es dort? Wie echt sind die Inhalte? Wenn sich Kinder in der digitalen Welt bewegen, finde ich eine enge Begleitung durch Eltern und Lehrer unverzichtbar.

Fotografie: Roderick Aichinger

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