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Gemeinsam gegen Desinformation

Unbelegte Behauptungen, manipulierte Bilder, frei erfundene Geschichten: Desinformation verunsichert viele Menschen und kann großen Schaden anrichten. Wie Faktencheck-Teams und Forschungseinrichtungen gegen falsche Nachrichten im Internet vorgehen
7 Minuten Lesezeit

Als sich 2020 das Coronavirus weltweit verbreitete, nahm auch die Zahl der falschen Meldungen rund um Covid-19 rapide zu: Das Spektrum reichte von »nicht gefährlicher als eine Grippe« über die Behauptung, die Krankheit werde über 5G-Mobilfunkstrahlen verbreitet, bis zur lebensgefährlichen Empfehlung, zum Schutz vor Corona Desinfektionsmittel zu trinken. Oft beruhten die Falschmeldungen schlicht auf Unwissenheit, mitunter handelt es sich aber auch um gezielt gestreute Desinformation.

Die falschen Berichte haben dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen verunsichert sind. Laut einer im Dezember 2020 veröffentlichten Studie im Auftrag der Vodafone Stiftung kommen 76 Prozent der 14- bis 24-jährigen Deutschen mindestens einmal pro Woche mit Falschmeldungen in Berührung, doppelt so viele wie zwei Jahre zuvor. 34 Prozent trauen sich nicht zu, Desinformation zu erkennen. Kein Wunder also, dass die Mehrzahl sich mehr Unterstützung beim Umgang mit dem wünscht, was viele »Fake News« nennen.

Die Faktenchecker

David Schraven gehört zu jenen, die Aufklärung anbieten. Als er 2014 in Essen das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV gründete, ging es ihm um investigativen Journalismus, um das Aufdecken systematischer Missstände. 2016 kam die Faktenprüfung hinzu: »In Deutschland kursierten damals erfundene Vergewaltigungsmeldungen, um Geflüchtete zu diffamieren und Populisten zu stärken«, erinnert sich Schraven. Heute deckt die Faktencheck-Einheit täglich Falschinformationen, Gerüchte und Halbwahrheiten auf. »Wir suchen aktiv nach Desinformation im Internet, bekommen aber auch viel per E-Mail oder WhatsApp zugespielt«, sagt Alice Echtermann, stellvertretende Leiterin von CORRECTIV.Faktencheck. Die Faktenchecker stellen jeder Behauptung belegbare Tat­sachen gegenüber. Dann bewerten sie sie mithilfe einer Skala, die von »richtig« über »teilweise falsch« bis zu »frei erfunden« reicht, und begründen ihr Ergebnis.

Als Thema dominierte zuletzt das Coronavirus. 2020 widerlegten sie unter anderem die Behauptungen, das Tragen eines Mundschutzes mache krank oder Corona-Statistiken würden auf Anordnung der EU gefälscht. Hunderte Faktenchecks sind in den vergangenen Jahren auf correctiv.org erschienen – und nicht nur dort. Über die frei zugängliche Technologie »ClaimReview« können sie und andere Journalistinnen und Journalisten ihre Faktenchecks so markieren, dass diese bei passenden Suchanfragen, etwa bei Google oder YouTube, mit angezeigt werden. Und in einer Kooperation mit Facebook prüft CORRECTIV verdächtige Meldungen, die in dem sozialen Netzwerk kursieren. Stellt sich ein Post als Falschinformation heraus, wird er gekennzeichnet und mit dem entsprechenden Faktencheck-Artikel verknüpft – oft zum Unmut der Urheber: »Wir werden beleidigt, beschimpft und bedroht«, erzählt Echtermann. Aber ihre Motivation ist stärker als der Hass, der ihr entgegenschlägt: »Wir helfen sehr vielen Menschen, die verunsichert sind, welchen Nachrichten sie trauen können.«

Besonders groß ist die Verunsicherung derzeit bei Videos. »Ein Großteil der Hinweise, die uns erreichen, betrifft YouTube-Inhalte«, sagt David Schraven. Bewegtbild fordert die Faktenchecker allein schon wegen der schieren Menge an Falschbehauptungen heraus, die sich beispielsweise in einem 45-minütigen Video aufstellen lassen. Google hat bereits einiges dagegen unternommen: Neue Faktencheck-Infobereiche auf YouTube geben auf Basis der ClaimReview-Technologie Kontext zu bestimmten Suchanfragen – von unabhängigen Dritten wie BR24 und Correctiv. Während Schraven dieses Instrument in der Google-Suche für sehr wirksam hält, wünscht er sich für YouTube Maßnahmen innerhalb der Videos. »YouTube muss mehr unternehmen, um die Verbreitung von Desinformation auf der Plattform zu unterbinden«, fordert Schraven.

Sabine Frank, Head of Governmental Affairs and Public Policy YouTube DACH/CEE, nimmt die Kritik sehr ernst. »Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst, die YouTube-Community zu schützen. Von den vielen kleinen und großen Schritten, die wir dazu unternehmen, ist der Ausbau unserer Faktenchecks ein sehr wichtiger«, sagt sie. Es gehe darum, zuverlässige Quellen hervorzuheben, den Nutzerinnen und Nutzern relevante und verlässliche Informationen zu liefern und die Verbreitung schädlicher Fehlinformationen auf YouTube weiter einzudämmen. »Zudem sind uns die Zusammenarbeit und der Austausch mit Faktencheck-Organisationen und Journalist:innen sehr wichtig, um gemeinsam Tools zu entwickeln, die ihre Arbeit vereinfachen. Dazu soll auch das im Januar gegründete Google Safety Engineering Center in Dublin beitragen, von wo aus Google-Fachleute daran arbeiten werden, die Verbreitung illegaler und schädlicher Inhalte zu bekämpfen«, erklärt Sabine Frank. »Außerdem möchten wir dort unsere Arbeit für verantwortungsvollen Umgang mit Inhalten zum Beispiel politischen Entscheider:innen, Wissenschaftler:innen und gesellschaftlichen Gruppen zugänglich machen.«

Der Wissenschaftler

Auch Martin Steinebach setzt sich intensiv mit Desinformation im Internet auseinander. Er ist Honorarprofessor an der Technischen Universität Darmstadt und leitet die Abteilung für Media Security und IT Forensics am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT. Im Gegensatz zu Faktencheckern, die vor allem recherchieren, setzt der Informatiker auf Technik. Mittels digitaler Bilderkennung lässt sich beispielsweise feststellen, ob ein nachrichtliches Foto oder Video bereits älter ist oder aus einem anderen Zusammenhang stammt. »Die Wiedererkennung von Medieninhalten funktioniert auch, wenn beispielsweise ein Ausschnitt verwendet wurde«, sagt Steinebach.

Einen Schritt weiter gingen er und andere Forschende im interdisziplinären Desinformationsprojekt DORIAN. Sie beschäftigten sich mit Collagen und Montagen, in denen Inhalte aus verschiedenen Quellen eine neue Realität vorgaukeln. Dafür zerlegten sie die Bilder in Gruppen und Objekte, um sie mit Datenbanken abzugleichen. Am Ende erzielten sie mit einem System auf einem handelsüblichen Laptop eine Trefferquote von 99 Prozent. Ebenfalls mit IT-forensischen Methoden lassen sich sogenannte Deepfakes enttarnen: Wenn etwa ein Algorithmus Gesichter in einem Video austauscht, könnte eine Software einem entsprechend ausgebildeten Redaktionsmitglied Auffälligkeiten an den manipulierten Stellen aufzeigen.

Zusätzlich befasste sich DORIAN mit »Natural Language Processing«, der maschinellen Verarbeitung von Sprache, kombiniert mit künstlicher Intelligenz. Wenn beispielsweise ein System mit genügend Material aus einer Quelle angelernt wird, die für Desinformation bekannt ist, könnte es typische Sprachmuster in neuen Texten erkennen und warnen. »Die Technik kann noch nicht eigenständig entscheiden«, sagt Steinebach mit Blick auf Sprach- und Multimediaforensik. »Aber sie kann Menschen entscheidend unterstützen.«

Das Netzwerk

Desinformation ist ein weltweites Problem, und Faktenchecker sind in vielen Ländern aktiv. Nur: Wer sagt eigentlich, wie sie ihre Arbeit zu tun haben, damit die Menschen ihrem Urteil vertrauen können? »Wir prüfen die Prüfer«, erklärt Baybars Örsek, Direktor des International Fact-Checking Network (IFCN). Er verweist auf einen Prinzipienkodex, dem alle Mitglieder des Netzwerks zustimmen müssen. An erster Stelle steht die Unabhängigkeit von politischen oder sonstigen Einflüssen, an zweiter Transparenz über Recherchequellen, Methodik und Finanzierung.

Derzeit halten sich mehr als 80 Organisationen aus rund 50 Ländern an diesen Standard, darunter auch Correctiv und die Nachrichtenagentur dpa. Sie alle haben den Kodex unterzeichnet und werden vom IFCN jährlich überprüft. Im Gegenzug erkennen etwa soziale Medien sie als unabhängige Faktenchecker an. Die IFCN-Überprüfung ist für den Kampf gegen Desinformation elementar, sagt Örsek: »Es bezeichnen sich auch Einrichtungen als Faktenchecker, die interessengesteuert vorgehen und politische Propaganda betreiben.« Er kennt die Arbeit der IFCN-Mitglieder aus eigener Erfahrung. In seiner Heimat, der Türkei, baute er 2014 unter schwierigen Bedingungen selbst eine Faktencheck-Organisation auf: Er wollte Verlässlichkeit schaffen, als im Zuge der Gezi-Park-Proteste viel Zweifelhaftes durch die Medien ging. Heute unterstützt er Faktenchecker aus aller Welt von den USA aus, wo das IFCN als Teil des renommierten Poynter Institute seinen Sitz hat. Neben Erfahrungsaustausch und Stipendien bietet das Netzwerk auch Schulungen an. »Unsere Arbeit ist zuletzt noch wichtiger geworden«, sagt Örsek.

Die Entwicklungen rund um Corona zeigen, wie viel Ausdauer Menschen wie Baybars Örsek, Alice Echtermann, David Schraven und Martin Steinebach benötigen: Zunächst stand das Virus im Mittelpunkt der Desinformation, nun ist es die Corona-Impfung. Während viele hoffen, dass die Pandemie damit bald gestoppt werden kann, glauben manche, dass die Impfung gefährlich, nutzlos oder gar eine große Verschwörung sei. Selbst die Bundesregierung sah sich im Januar genötigt, auf einer eigenen Infoseite im Internet Falschbehauptungen zu widersprechen – wie jener, dass beim Impfen Mikrochips injiziert würden.

Illustrationen: Silke Werzinger, Fotos: Ivo Mayr (2), Fraunhofer SIT, Privat

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