„Mit Google teilen wir eine ähnliche Spielkultur“
Das Miniatur Wunderland ist die größte Modelleisenbahn der Welt. Als Erfolgsfaktor sieht Marketingleiter Sebastian Drechsler: Spaß an innovativer Technik
Wie digital ist die Welt im Miniatur Wunderland?
Zum Glück haben wir von Anfang an auf digitale Modelleisenbahnen gesetzt. Außerdem ist mein Bruder Gerrit aus meiner Sicht ein genialer Programmierer. Deswegen hatten wir ziemlich schnell auch fahrende Autos, Einsatzfahrzeuge mit Sound und eine Lichtsteuerung, die den Tag-Nacht-Rhythmus simuliert. So etwas gab es bis dahin im Modellbau nicht, und aus Sicht von 2001 ist das extrem digital. Seitdem haben wir mehrere Hunderttausend Zeilen Codes geschrieben, das macht uns wirklich einzigartig.
Machen Ihre 360 Mitarbeiter alles selbst?
Wir sind ein kleiner Organismus, der sehr gut im Tüfteln ist. Wo wir Kompetenzen haben, da sind wir ziemlich gut und schnell. Wo wir kein Wissen haben, da fällt uns die Digitalisierung hin und wieder schwer.
Zum Beispiel?
Gerade sind wir dabei, eine Kirmes zu bauen, und merken, dass wir technologisch an unsere Grenzen stoßen. Wir haben da so einige Ideen, wie wir unsere kleine Welt mit der großen verbinden könnten – etwa mithilfe von Augmented-Reality-Brillen, mit denen man in die Geisterbahn eintauchen könnte. Aber bei der Umsetzung von virtuellen Realitäten sind wir auf Dritte angewiesen. Wir beschäftigen uns damit, das schon, aber der Entwicklungsaufwand ist für uns zu groß.
Was ist Ihnen bei der Zusammenarbeit mit Partnern wichtig?
Wir sind nicht auf Gewinnmaximierung aus. Unsere Triebfeder ist es, einen Traum zu leben. Deswegen gibt es bei uns viel Raum für Kreativität und Verspieltheit. Unser wirtschaftlicher Erfolg ist unsere Unwirtschaftlichkeit, wenn man so will, und das passt mit der Außenwelt oft schlecht zusammen. Eine der wenigen Kooperationen, die schon seit Jahren funktioniert, ist die mit Google. Hier ist das Verspielte genauso tief verankert wie im Wunderland.
Wie zeigt sich das?
Ich rufe dort an und habe das Gefühl, die Leute haben Lust zu spielen. Street View ins Wunderland zu bringen war eine superspannende Zeit. Insgesamt hat es 35 000 Arbeitsstunden gekostet, aber das fühlt sich längst nicht so an. Am Ende war es ein gemeinsames Schaffen aus einer spielerischen Sache heraus – wir haben alle mit Schraubenziehern in unserem Testlabor gesessen und an dem kleinen Kamera-Auto und -Zug getüftelt.
Unser wirtschaftlicher Erfolg ist unsere Unwirtschaftlichkeit
Sebastian Drechsler Miniatur Wunderland
Findet man Google eigentlich auch in der Anlage wieder?
Ja, als Street View Car – wobei wir ein Auto dem damaligen Google-Chef Eric Schmidt geschenkt haben, als er im November zur 20-Jahr-Feier von Google in Hamburg war und sich das Miniatur Wunderland angesehen hat.
Ihr Anspruch ist es, unsere Lebenswirklichkeit im Kleinen abzubilden. Wie funktioniert das beim Thema Digitalisierung?
Das Problem ist, dass Digitalisierung etwas Unsichtbares ist, also wenig verdinglicht. Wir bauen neue Welten natürlich immer aus dem Empfinden des Jetzt. Und wo die Digitalisierung die Lebenswirklichkeit sichtbar verändert, da modernisieren wir und passen wir an. Zum Beispiel bei neuen Mobilitätsformen wie Carsharing, das es jetzt auch bei uns gibt. Oder im Lieferverkehr, indem wir Paketboten vor übervollen Lieferwagen zeigen.
Wie digital leben die 265 000 Bewohner des Miniatur Wunderlands? Starren hier auch alle auf ihre Smartphones?
Bei den Herstellern der Figuren endet die Moderne gefühlt in den Neunzigerjahren. Die Gussform wurde vor vielen Jahrzehnten entwickelt, seitdem hat sich da nicht mehr viel getan. Es gibt eine Figur, die heißt Mann mit Handy, die sieht aus wie Karl Lagerfeld mit einer riesigen Banane am Ohr. Die Smartphones müssen Sie sich größtenteils in den Hosentaschen unserer Wunderländer vorstellen.
Fotografie: Melina Mörsdorf