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Go, Roberta!

Einen Roboter programmieren? Geht eigentlich ganz einfach. Die grafische Programmier­umgebung Open Roberta Lab vermittelt auf spielerische Weise den Umgang mit Robotik. Vor allem Mädchen verlieren in dem Projekt die Skepsis gegenüber technischen Berufen

Auge in Auge stehen sich die beiden Eisbären gegenüber. Mit Eishockeyschlägern versuchen sie, einen Puck ins Tor zu schießen. Doch das Tor hat seinen eigenen Willen: Kommt der Puck zu nahe, fährt es auf Rädern beiseite. Am Rand des Minispielfelds jubeln Fingerpuppen, eine Trainer-Eule aus Stoff hüpft aufgeregt auf und nieder – in den Kostümen stecken Lego-Roboter. Die wiederum werden gesteuert von den Schülerinnen und Schülern des Teams „Borchert Bärchen on Ice“ der Berliner Wolfgang-Borchert-Schule. Hunderte Zuschauer stehen vor der Bühne in der Magdeburger Messehalle. Wer beim deutschen RoboCup Junior präsentieren darf, gehört zu den besten Robotik-Teams des Landes.

Auf diesen Moment haben Caroline Albrecht und ihre ­Mitschüler aus der Arbeitsgemeinschaft „Roberta – Lernen mit Robotern“ ein Schuljahr lang hingearbeitet. Sie haben die Lego-Roboter gebaut und ihnen Fähigkeiten und Abläufe einprogrammiert. Wie sie lernen Tausende Jugendliche der Klassenstufen fünf bis zehn mit Open Roberta die Robotik kennen. Entwickelt wurde das Konzept vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. Es soll vor allem Mädchen für Technik und Informatik begeistern. Mehr als 1000 Lehrkräfte in Deutschland und Europa sind mittlerweile ausgebildete Open Roberta-Teacher.

Mit dem Klischee des Nerds, der einsam kryptische Befehle in seinen Computer tippt, haben die 16-jährige Caroline Albrecht und ihre AG-Kollegen nichts gemein. Mindestens die Hälfte der Teilnehmer einer Open Roberta-Gruppe sind Mädchen. Die Jugend­lichen programmieren im „Open Roberta Lab“, einer grafischen Programmierumgebung. Befehle oder Variablen sind keine kryptischen Abkürzungen, sondern farbige Blöcke, die sich schnell erschließen. „Die grafische Umgebung ist sicherlich ­einer der Schlüssel, warum die Kurse so gut funktionieren“, ist die AG-Betreuerin Anja Tempelhoff überzeugt. Ohne ständig frustrierende Syntaxfehler zu machen, können die Jugendlichen schnell von der Idee zum Lösungsansatz kommen.

Die Kinder lernen, bei Problemen Durchhaltevermögen zu zeigen

Anja Tempelhoff Open-Roberta-Lehrerin

Das Open Roberta-Konzept besteht aus vier Säulen: Lehrkräfte werden geschult, sie bieten Kurse an, dafür erhalten sie Arbeitsmaterialien. Regionale Netzwerke der Lehrkräfte sorgen für regen Austausch. Thorsten Leimbach ist beim Fraunhofer IAIS für „Roberta – Lernen mit Robotern“ verantwortlich. Die grafische Programmierumgebung „Open Roberta Lab“ sieht er als wichtige Weiterentwicklung: Die Roboter-Software wird nicht mehr einzeln auf jedem Schulcomputer installiert, sondern in die Cloud verlegt. Ihre Entwicklung und Verbreitung wird nicht nur von Google.org, dem philanthropischen Arm von Google, mit insgesamt etwa sechs Millionen Euro unterstützt, sondern auch durch die Zusammenarbeit des Fraunhofer IAIS mit der Open-Source-Community, in der sich auch Google-Programmierer engagieren. Das Open Roberta Lab läuft auf Fraunhofer-Servern. Dadurch würden auch für Lehrer die Hürden minimiert, sagt Leimbach: „Sie müssen die Software nicht mehr aktuell halten oder aufs Betriebssystem achten.“ Das browserbasierte Programm funk­tioniert auf Windows-PCs, Macs, Smartphones und Tablets. Dank einer Simulation können sogar Schulen das Programm nutzen, die keine Roboterbaukästen besitzen. Die Optik können sich alle Schüler auch als Java-Code anzeigen lassen – eine Brücke zu der im Berufsleben gängigen Programmiersprache.

Nicht nur die Industrie klagt, dass viele Mädchen Berührungsängste mit technischen Berufen haben. Nur etwa ein Fünftel aller Auszubildenden und Studierenden in MINT-Fächern, also im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, sind weiblich. Open Roberta wendet sich deshalb an Mädchen mit einem entsprechenden Kursdesign. „Das heißt aber nicht, Sachen pink zu machen“, sagt Thorsten Leimbach. Bei Kampfrobotern oder Rennautos verlieren Mädchen fast immer das Interesse, sagt er. Ganz anders sehe es bei Beispielen aus der Natur oder dem unmittelbaren Umfeld aus. Wie kann ein Roboter den Tanz einer Biene nachahmen? Wie können Roboter eigentlich laufen? Die Erfahrung zeige: Wenn Kurse für Mädchen adäquat sind, fühlen sich auch Jungs angesprochen. Zudem: Zwei von drei Roberta-geschulten Lehrkräften sind Frauen. Auch das baut Hemmungen ab. „Wir Mädchen können einfach mal machen und müssen nicht ständig Angst haben, dass gleich einer ruft ›Frauen und Technik!‹“, sagt Anh Thu Dinh. Die heute 21-Jährige besuchte während ihrer Schulzeit die Open Roberta-AG von Anja Tempelhoff. Rund 25 Prozent der AG-Teilnehmerinnen gingen letztlich in MINT-Ausbildungen, schätzt Tempelhoff. „Ich kenne kein Projekt, das so viele Mädchen in technische Ausbildungen führt.“

Schon nach kurzer Zeit stellen sich die ersten Erfolge ein: In den bundesweiten Open Roberta Coding Hubs lernen Kinder, Jugendliche, Lehrer oder Coding-Interessierte, wie man kleine Roboter oder den Mikrocontroller Calliope mini programmiert.

Bei Open Roberta lernen die Jugendlichen aber auch fürs Leben, ist die Pädagogin überzeugt. Weil zwei Schulstunden pro Woche nicht reichten, um die Roboter wettbewerbsfähig zu machen, treffen sich die Open Roberta-AGs oft auch an Wochenenden und in den Ferien. „Die Kinder lernen, bei Problemen Durchhaltevermögen zu zeigen“, sagt Tempelhoff. So setzte sich eine Open Roberta-Schülerin in den Kopf, Informatik zu studieren. „Ich sagte ihr, mit ihren aktuellen Noten werde es schwierig, in die gymnasiale Oberstufe zu wechseln.“ Das Mädchen entgegnete: „Jetzt weiß ich, was ich will, und dafür kämpfe ich.“ Tatsächlich schaffte sie es auf eine weiterführende Schule, nach dem Abitur macht sie nun ein duales Studium.

Man lernt viel über Roboter und über den Umgang mit Menschen

Anja Tempelhoff Open-Roberta-Lehrerin

Die EDV-Trainerin Melina Koennecke begleitete die Open Roberta-AG der Wolfgang-Borchert-Schule in den vergangenen Jahren. Die Technik sei bei Wettbewerben nur eine Schwierigkeit, sagt sie. Als es bei einer Robotik-Weltmeisterschaft darum ging, einer Jury ihr Projekt vorzustellen, noch dazu auf Englisch, hatten die Schüler „Riesenangst“, erinnert sich Koennecke. „Die waren blass und hatten Schiss wie vor einer Prüfung. Nach der viertelstündigen Vorstellung kamen sie strahlend zurück. Die waren gefühlt einen halben Meter größer.“

Nach dem Robotik-Wettbewerb verließen Caroline Albrecht und ihre AG-Kollegen die Borchert-Schule nach der zehnten Klasse. Caroline lernt zurzeit für ihr Abitur, ihre Roberta-Mitschüler absolvieren Ausbildungen, etwa zur Industriemechanikerin oder zum Mechatroniker. Auch Anh Thu Dinhs Lebensweg wurde von Open Roberta beeinflusst: „Man lernt viel über Roboter und über den Umgang mit Menschen – ideal für mein Studium der Verpackungstechnik“, sagt sie. Ob sie ohne Open Roberta einen anderen Weg eingeschlagen hätte? „Dann hätte ich wohl keinen technischen Studiengang gewählt, sondern etwas Künstlerisches.“

Mehr Informationen zum Projekt auf open-roberta.org.

Illustration und Animation: Musclebeaver

Fotos: Anne Schönharting, Fraunhofer IAIS

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