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Die neuen Alleskönner

Früher sorgten Werbeagenturen vor allem dafür, dass Unternehmen gut aussehen. Die Digitalisierung hat die Arbeit verändert: Jetzt sind in der Agenturwelt auch Entwickler und Analytiker zu Hause, die Produkte kreieren und helfen, Websites sichtbar zu machen

Was macht eigentlich ein UX Designer? Je nachdem, bei welcher Agentur man nachfragt, fällt die Antwort unterschiedlich aus. Bleiben wir erst einmal beim Begriff. UX steht für User Expe­rience, für die Erfahrungen, die Nutzer beim Surfen im Internet machen. Ein UX Designer gestaltet Websites und Smartphone-Apps so, dass der Nutzer sie einfach und intuitiv benutzen kann. Jeder Nutzer soll die Informationen, die er sucht, möglichst schnell finden.

UX Designer sind im Moment sehr gefragt. Wer die Stellenanzeigen der Werbeagenturen durchforstet, merkt schnell, dass digitale Fähigkeiten in jeder Form gesucht sind: Informationsarchitekten, Screen Designer, Webentwickler, Social Media Manager, die Bandbreite ist groß. Manchmal versteckt sich hinter unterschiedlichen Berufsbezeichnungen das gleiche Aufgabenfeld, manchmal heißt der UX Designer auch ganz altmodisch Art Director. Eines aber ist sicher: Wer an digitalen Projekten mitarbeiten kann, der hat als Bewerber gute Karten. Die Agenturbranche steckt im Umbruch. Die Entwicklung geht so schnell, dass selbst die, die in einer Agentur arbeiten möchten, nicht immer steuern können, wo genau sie landen.

In Deutschland gibt es schätzungsweise 26 000 Werbeagenturen, von der Ein-Mann-Bude bis zu Dickschiffen wie Serviceplan oder Jung von Matt. Klassischerweise kümmern sich diese Agenturen um Werbekampagnen für Unternehmen oder um die Markenbildung. Doch das Aufgabenfeld hat sich in den vergangenen Jahren so stark verändert, dass der Begriff Werbeagentur das Leistungsangebot oft nicht hinreichend wiedergibt. Die einen bezeichnen sich deshalb als Kreativ-, die anderen als Kommunikations- und wieder andere als Branding-Agenturen. Manche bieten Public Relations an, andere­ helfen mit, für Unternehmen neue Vertriebskanäle zu erschließen oder sogar neue Produkte zu entwickeln – vor allem fürs Internet. »Dass man das Digitale heute von Anfang an mitdenkt, versteht sich von selbst«, sagt Ralf Nöcker, Geschäftsführer des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen (GWA), der die größten Werbeagenturen in Deutschland vertritt. Es ­ändern sich aber auch die Arbeitsweise und das Selbstverständnis.

Das Aufgabenfeld von Agenturen hat sich stark verändert

Dazu muss man nur beobachten, wie Jens Westerwald ein Projekt angeht. Er studierte Kommunikationsdesign und arbeitet bei Scholz & Volkmer, einer Kreativagentur in Wiesbaden, die zum Beispiel den Relaunch der App »DB Navigator« realisierte. Auf Xing bezeichnet sich Westerwald als Senior Konzepter (IA/UX), wobei „IA“ für Information Architect steht.

Vor einiger Zeit setzte er in einem interdisziplinären Team die Website des Fahrradherstellers Riese & Müller neu auf: Scholz & Volkmer entwickelte eine Digitalstrategie und analysierte die Bedürfnisse von Fahrradkäufern. Das Team versuchte, die Website konsequent auf die Ergebnisse auszurichten. Ein Onlineshop zum Beispiel war nicht gefragt, da Riese & Müller die Fahrräder nur über Fachhändler verkauft. Stattdessen entwickelte das Team ein Tool, mit dem der Kunde das nächstgelegene Fachgeschäft findet, in dem er das gewünschte Modell ausprobieren kann – egal ob Faltrad, Lastenrad oder E-Mountainbike. Eine weitere Neuerung: Scholz & Volkmer koppelte die Website des Unternehmens mit dem Warenwirtschaftssystem. Die Homepage aktualisiert sich nun automatisch, wenn sich an einem Modell etwas ändert. So entsteht weniger Arbeit, Übertragungsfehler werden vermieden und die Produktdaten sind stets auf dem Stand.

Zugegeben: Mit den wilden Anfängen der Werbebranche, wie sie die Fernsehserie Mad Men zeigt, hat Jens Westerwalds Arbeit nur noch wenig zu tun. Vorbei die Zeiten, in denen die Don Drapers der Werbewelt drei Martinis zum Mittagessen tranken und sich dann auf dem Sofa geniale Slogans ausdachten. Was Jens Westerwald macht, ist prag­matisch und zielorientiert. Er führt Gespräche, er identifiziert Probleme und arbeitet im Team an interdisziplinären Lösungen. Das kann man langweilig finden – oder ungemein befriedigend, weil es dem Kunden wirklich hilft.

Geht es nach Peter Post, dem Geschäftsführer von Scholz & Volkmer, zeigt dieses Beispiel, wie sich durch die Digitalisierung die Arbeitsweise der Agenturen verändert hat. Posts Vorbilder sind nicht mehr die Mad Men aus New York, sondern die Programmierer aus dem Silicon Valley mit ihrer auf Nutzen ausgerichteten Entwicklung. »Früher hat man viel über die Marke nachgedacht, als wäre die ein Ding an sich. Man wollte sie bekannt machen und emotional aufladen. Heute versuchen wir eher, vom Konsumenten her zu denken. Wie kann ich ihm sein Leben einfacher machen? Wie spare ich ihm Zeit? Wie gestalte ich das Produkt so, dass er gern wiederkommt?«

Früher ging es um die Marke, heute geht es um Konsumentenwünsche

Ein Vorbild ist das Silicon Valley auch bei der Arbeitsorganisation. Das Stichwort lautet »agile Entwicklung«, eine Formulierung aus der Software-Entwicklung. »Früher hat man nach dem Wasserfallmodell gearbeitet«, erklärt think-moto-Mitgründer Marco Spies. »Erst hat der Konzeptioner sich 120 Seiten überlegt. Dann hat der Grafiker 120 Seiten entworfen. Wenn die Software-Leute dann einen Fehler entdeckt haben, waren schon Monate vergangen. Heute arbeitet man von Anfang an interdisziplinär. Alle Abteilungen sitzen am Tisch, die Mitarbeiter organisieren sich selbst und versuchen, möglichst schnell einen Prototypen zu bauen, den sie dann immer wieder testen und verbessern.« Dieses Arbeiten, zum Beispiel an einer App oder an einer Website, hat Vorteile: Die Teams erreichen schneller das Ziel, sie kommen mit weniger Mitarbeitern zurecht und können ihr Projekt den Kundenwünschen anpassen.

Gefragt sind bei diesem Vorgehen Menschen, die gern in Gruppen arbeiten und sich für die Aufgaben anderer Abteilungen interessieren. Peter Post spricht von »Schnittstellenwissen«: Gesucht sind Gestalter, die sich in die Probleme der Software-Entwickler hineinversetzen können. Gesucht sind Texter, die gut mit Gestaltern zusammenarbeiten. »Eine prima Grundlage sind ein BWL- oder Designstudium. Damit, möglichst ergänzt um Digital-Know-how, kommt man zurzeit überall unter«, sagt Ralf Nöcker. Alles Weitere, so der GWA-Chef, lerne man dann ganz einfach im Job.

Illustrationen: Daniele Morganti

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