»Haben wir genügend Krankenhäuser und Schulen?«
Frau Wilken, wofür brauchen wir den Zensus?
Der Zensus gibt Auskunft über die aktuelle Bevölkerungszahl für Bund, Länder und Gemeinden. Wir bekommen aber auch Daten zur Anzahl der Wohnungen und Häuser in Deutschland, zur Wohnungssituation der Menschen sowie Daten zu den Haushalten und Familien, zu Erwerbstätigkeit und Bildung.
Was geschieht mit den Daten, die Sie im Rahmen des Zensus erfassen?
Wichtig sind diese Informationen, um die Infrastruktur in unserem Land planen zu können: Haben wir genügend Krankenhäuser, Altenheime und Schulen? Gibt es ausreichend Straßen? Die Ergebnisse des Zensus helfen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Kommunen, die Pro-Kopf-Versorgung zu berechnen und die Situation vor Ort entsprechend anzupassen. Der Zensus ist aber auch eine wichtige Quelle, wenn es darum geht, die Finanzverteilung zwischen Ländern und den Kommunen zu regeln. Und dann dient der Zensus auch dazu, die Wahlkreise in Deutschland zuzuschneiden.
Wie genau funktioniert das?
Wenn wir beispielsweise durch den Zensus rausfinden, dass in einem größeren Bundesland weniger Menschen leben als angenommen, kann das dazu führen, dass dort künftig die Zahl der Abgeordneten im Bundestag reduziert wird. Andernfalls werden die Interessen der dortigen Bevölkerung überproportional im Bundestag vertreten, und das wäre keine Gleichbehandlung gegenüber Menschen in anderen Bundesländern.
Reicht es nicht, die Register der Einwohnermeldeämter auszuwerten, um herauszufinden, wie viele Menschen in Deutschland leben?
Die Register der Einwohnermeldeämter bilden die wichtigste Quelle für den Zensus. Wenn diese Register taggenau und präzise gepflegt wären, wären sie sogar ausreichend für die Einwohnerzahl-Ermittlung. Leider ist es aber so, dass manchmal Personen mehrfach in verschiedenen Melderegistern eingetragen sind. Dann gibt es Leute, die nicht mehr an einem Ort gemeldet sind, obwohl sie dort noch leben. Und es gibt Personen, die weggezogen, aber noch in einer Kommune gemeldet sind. Diese drei Fälle zeigen beispielhaft mögliche Fehler in den Melderegistern, und diese müssen wir mit dem Zensus bereinigen, weil die amtliche Bevölkerungszahl sonst zu ungenau wäre.
Der Zensusstichtag musste um ein Jahr von 2021 auf 2022 verschoben werden. Wie kam es dazu?
Bund und Länder haben entschieden, dass es aufgrund der Corona-Pandemie momentan nicht angemessen ist, den Zensus durchzuführen. Innerhalb der öffentlichen Verwaltung müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum einen in der Lage sein, die Gesundheitsämter zu unterstützen. Und zum anderen müssen wir für den Zensus teilweise Interviewerinnen und Interviewer zu den Menschen nach Hause schicken. Das ist in einer Pandemiesituation nur schwer vertretbar.
Am Zensus nehmen zehn Millionen Menschen teil. Wie werden die ausgesucht?
Das ist eine Zufallsauswahl, die nach Anschriften erfolgt.
Es gab bereits Demos gegen den Zensus, und Kritiker bemängeln, dass die Bevölkerungszählung ein Schritt auf dem Weg zum Überwachungsstaat sei. Können Sie es verstehen, wenn Menschen datenschutzrechtliche Bedenken haben?
Wir stellen die Geheimhaltung der Daten in jedem Fall sicher, insofern kann ich zusichern, dass keine Daten zu einzelnen Personen unser Haus verlassen.
In den vergangenen Jahren wurde viel über Datenschutz diskutiert. Hat sich aus Ihrer Sicht die Einstellung der Menschen zur Erfassung von Daten verändert?
Wir Deutschen sind sehr sensibel, wenn es um persönliche Daten geht. Das ist bei uns natürlich historisch bedingt und gut nachvollziehbar. Das Bewusstsein der Menschen hat sich in den letzten Jahren dahingehend verändert, dass sie verstärkt kritisch nachfragen, ob wir diese Daten wirklich brauchen.
Nach dem letzten Zensus 2011 mussten Kommunen auf Geld aus dem Länderfinanzausgleich verzichten, weil ihre Einwohnerzahl nach unten korrigiert wurde. Kritiker sagen: Um ganz sicher zu gehen, dass keine Kommune benachteiligt wird, müsste eine Vollerhebung gemacht werden. Wie sehen Sie das?
Eine Vollerhebung ist nicht zuletzt aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts, dem dieser Sachverhalt ja vorgetragen worden ist, eine unzulässige Belastung der Bevölkerung. Wir haben die Maßgabe, Methoden mit geringstmöglicher Belastung für die Bürgerinnen und Bürger auf Basis einer zeitgemäßen IT-Technologie zu nutzen. Die Stichprobe ist als Methode angemessen und vom Bundesverfassungsgericht auch so bestätigt worden.
Die Auswertung der Daten hat beim letzten Zensus lange gedauert – teilweise mehrere Jahre. Warum ging das nicht schneller und wie lange soll die Auswertung dieses Mal dauern?
Die Daten wurden 2011 hauptsächlich von Interviewerinnen und Interviewern oder postalisch erhoben und kamen erst nach der Prüfung und Zusammenführung in den Statistischen Landesämtern zu uns und wurden weiterverarbeitet. Wir wissen aber, dass das damals zu lange gedauert hat. Dieses Mal wollen wir die Daten nach 18 Monaten bereitstellen, indem der Großteil der Befragungen digital erfolgt – online oder telefonisch. Das ist immer noch eine lange Zeit, aber wir müssen auch umfassenden Datenschutz gewährleisten. Unsere IT-Systeme sind abgeschottet, daher kosten unsere Prozesse mehr Zeit. Hier geht Qualität vor Geschwindigkeit.
Angenommen, ich werde vom Zufallsgenerator für den nächsten Zensus ausgewählt – wann bekomme ich darüber Bescheid?
Ab dem Stichtag im Mai 2022 werden wir die zufällig ausgewählten Haushalte anschreiben beziehungsweise kontaktieren. Wohnungseigentümerinnen und Wohnungseigentümer werden gegebenenfalls bereits im Sommer 2021 für eine Vorbefragung kontaktiert.
Foto: Destatis, Illustration: Anton Hallmann/Sepia