Was in uns steckt
Manche Unternehmen entdecken in der Krise verborgene Fähigkeiten und erarbeiten sich daraus neue Geschäftsideen – so wie der Verlag hinter der Sächsischen Zeitung in Dresden
Als die Corona-Krise begann, schaltete Denni Klein in den Lösungsmodus. Klein ist Geschäftsführer der Sächsischen Zeitung mit Hauptsitz in Dresden. Sechsmal pro Woche liefert sein Verlag mit einem hauseigenen Postdienst an knapp 200 000 Abonnenten seine Tageszeitung aus. Als die Bundesregierung Ende März eine Kontaktsperre verhängte, erkannte Klein in seinen Zeitungszustellern neues Potenzial: Warum, fragte er sich, sollten sie nicht während der Corona-Krise neben der Zeitung auch Lebensmittel ausliefern und so dazu beitragen, dass mehr Menschen zu Hause bleiben? »Wir können schließlich nicht nur Journalismus, sondern auch Logistik«, sagt Klein. »Und diese Stärke können wir jetzt noch stärker in den Vordergrund stellen.«
Wir können nicht nur Journalismus, sondern auch Logistik
Denni Klein Verlagsgeschäftsführer der Sächsischen Zeitung
Nur wenige Tage später war der ungewöhnliche Lieferservice einsatzbereit: Jeden Tag druckt die Sächsische Zeitung nun in Einkaufszettel-Optik eine Liste mit etwa 50 Produkten, die das Team eines Dresdner Edeka-Geschäfts zusammengestellt hat. Von Milch über Bananen bis zum begehrten Toilettenpapier ist alles dabei. Ihre Bestellung können die Menschen telefonisch in den Geschäftsstellen der Sächsischen Zeitung aufgeben. Jeder kann das Angebot nutzen, nicht nur die Abonnenten. Von den Geschäftsstellen gehen die Listen an den Supermarkt. Das Edeka-Team packt die Produkte zusammen und Kleins Zusteller liefern sie an die Kunden aus. »Das Ganze ist eine Win-win-win-win-Situation«, sagt Denni Klein und freut sich: »Die Kunden profitieren, weil sie das Haus nicht verlassen müssen. Die Gesellschaft hat was davon, weil weniger Menschen unterwegs sind. Edeka profitiert, weil sie Umsatz machen. Und für das Image unseres Verlags ist das auch eine tolle Sache.«
Weltweit zwingt die Corona-Krise Unternehmer zum Umdenken: Aus analogen Geschäftsmodellen werden digitale. Stationäre Händler werden zu Lieferanten. Einige Unternehmen haben sich mitten in der Krise neu erfunden, weil sie erkannt haben, wie sich ihre Kompetenzen auch in anderen Bereichen einsetzen lassen. Oder weil eine Fähigkeit, die bislang eine untergeordnete Rolle spielte, in der Krise plötzlich besonders gefragt ist. So wie bei Denni Klein und dem Verlag der Sächsischen Zeitung. Die Resonanz auf den Lieferservice, erzählt Klein, ist überwältigend. Erwachsene Kinder schreiben ihm Dankmails, weil sie trotz Kontaktsperre ihre betagten Eltern versorgen können. Menschen in Quarantäne sind froh, weil konventionelle Supermarkt-Lieferdienste längst Wartezeiten von mehreren Wochen haben. Und auch viele von Kleins 400 Verlagskollegen sind erleichtert: An der Bestellhotline sitzen Mitarbeiter, die sich sonst beispielsweise um den Verkauf von Veranstaltungstickets kümmern. Eigentlich hätten sie wie gut 60 Prozent der Mitarbeiter des Hauses während der Krise in Kurzarbeit gehen müssen. Durch die Hotline haben sie plötzlich eine neue Aufgabe.
Geld verdient Kleins Verlag mit dem Krisen-Lieferdienst allerdings nicht. Die Einnahmen gehen direkt an Edeka. Der Verlag berechnet zwar eine Lieferpauschale von 6,90 Euro, doch die deckt laut Klein nur die tatsächlichen Zustellkosten. Denni Klein hofft aber, dass das Angebot langfristig dem primären Geschäft seines Hauses zugutekommt: dem Journalismus. Jeder Lebensmittellieferung legt der Verlag eine kostenlose Ausgabe der Zeitung bei. Wer noch kein Abonnent ist, kann zunächst ein Probeabo nutzen. »In den vergangenen Wochen wurde das auch schon rege genutzt, und wir merken an vielen Rückmeldungen, dass verlässliche Informationen in der Krise so gefragt sind wie schon lange nicht mehr«, sagt Klein.
Ob es diese Informationen nach der Krise weiterhin geben wird, hängt auch davon ab, wie sich der Anzeigenmarkt entwickelt. Viele Medienhäuser verzeichnen bereits massive Umsatzrückgänge. Auch Denni Klein treibt diese Sorge um. Bricht bei den Unternehmen in der Region das Geschäft ein, schalten sie weniger Anzeigen in der Tageszeitung. Im schlimmsten Fall muss Kleins Verlag in der Konsequenz Stellen abbauen. Doch wer mit Denni Klein spricht, dem wird schnell klar, dass in dem gelernten Journalisten ein Kaufmann steckt, der gern agil arbeitet und ein Händchen für Win-win-Ideen hat. »Unserem Verlag«, sagt Klein, »geht es immer nur so gut wie den Unternehmen in der Region.« Sein Krisen-Portfolio beinhaltet deshalb noch weitere Bausteine: So stellt der Verlag seinen Onlineshop nun Händlern aus der Umgebung zur Verfügung, die selbst noch nicht im Netz sind und ihren Laden auf Anweisung der Regierung vorübergehend schließen mussten.
Neue Kooperationen in neuen Zeiten: Die Zeitung druckt die Einkaufsliste, Anzeigenmitarbeiter nehmen sie entgegen, und das Edeka-Team packt die Produkte zusammen.
Mehr als 1000 Einzelhändler aus Dresden und Umgebung haben sich schon in den ersten Tagen registriert. Von jedem Produkt, das sie über den Onlineshop verkaufen, erhält Kleins Verlag zehn Prozent Umsatzprovision. Ein kleines Geschäft, aber immerhin überhaupt ein Geschäft in einer Zeit, in der viele andere fast gar keine Einnahmen haben. Zu den Einzelhändlern kommen noch einmal mehr als 30 Sponsoren, die die Kampagne mit einem mittleren fünfstelligen Betrag unterstützen. Den Versand der Produkte an die Kunden übernimmt jeder Händler selbst.
Unserem Verlag geht es immer nur so gut wie den Unternehmen in der Region
Denni Klein Sächsische Zeitung
Und auch für die Zeit nach Corona gibt es in Denni Kleins Krisen-Portfolio eine Idee: Weil viele Unternehmer zunächst vermutlich kaum Geld für Werbung ausgeben werden, will er eine Online-Auktion starten. Händler aus der Region können dafür ein Produkt zur Verfügung stellen, das sie sowieso auf Lager haben. »Wir versteigern dann alle Produkte in einer großen Auktion im Netz, und jeder Händler bekommt für die Summe, die er im Laden dafür verlangen würde, Anzeigen bei uns in der Zeitung«, erklärt Klein. Die Einnahmen aus der Auktion gehen wiederum an seinen Verlag. Für die Online-Auktion hat Klein eine eigene Software entwickeln lassen, die er auch an andere Verlage verkauft.
Für das alte Anzeigengeschäft nutzt Denni Klein in der Corona-Krise einen neuen Erlösweg. Und wer weiß: Vielleicht ist der für die sich wandelnde Medienbranche auch über die Krise hinaus interessant.
DIGITALE WERKZEUGE
Leitfäden zum Thema Digitalisierung bieten unter anderen die IHK Bodensee-Oberschwaben oder die IHK Nord Westfalen.
Tipps und Tutorials für die Entwicklung von Geschäftsmodellen gibt es hier.
Welche neue Arbeitsmethoden nutzen Unternehmen? Darüber informiert Haufe.
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Fotos: Felix Adler