Mein Helfer
Wie der Google Assistant funktioniert: ein Besuch bei Produktmanagerin Tilke Judd in Zürich
Auf dem Google Campus in Zürich öffnet Tilke Judd die Tür zur Cafeteria, bestellt am Tresen Tee, sucht sich einen Sitzplatz und setzt sorgsam die heiße Tasse vor sich ab. Tilke Judd ist Produktmanagerin bei Google und beschäftigt sich gerade vor allen Dingen mit dem Google Assistant. Sie rückt ihre Tasse vor sich zurecht. Das Gefäß wird gleich der Mittelpunkt einer entscheidenden Frage sein: Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Tasse mit einer Frau verheiratet ist?
Auf der ganzen Welt arbeiten mehr als 80 000 Menschen für Google und setzen sich mit den unterschiedlichsten Fragen auseinander. Allein in den Züricher Büros denken mehr als 2000 Entwickler und Manager über die Weiterentwicklung der Google-Suche, des E-Mailprogramms Gmail oder der Videoplattform YouTube nach. »Das hier ist Googles größtes Entwicklungsbüro in ganz Europa«, sagt Tilke Judd und blickt sich um. Es ist kurz nach elf Uhr, das Mittagessen naht, die Cafeteria füllt sich zusehends. Die Menschen unterhalten sich auf Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch, die häufig beschriebene Diversität von Google wird hörbar.
Hallo. Es freut mich, dich wiederzusehen. Wie kann ich dir helfen?
Google Assistant Alltagshelfer
Die meisten Google-Mitarbeiter hier haben sich während ihres Studiums in der einen oder anderen Form mit Computern oder Informatik befasst. Tilke Judd zum Beispiel studierte Computergrafik, ehe sie bei Google begann und sich dort mit Google Alerts befasste: Die Anwendung informiert Nutzer, sobald zu ihrem Suchbegriff neue Ergebnisse vorliegen. Seit einigen Jahren setzt sich Judd nun schon mit der Sprachsuche auseinander: Sie sorgt dafür, dass wir mit unseren Smartphones sprechen können.
»Das ist ein ziemlich großer Schritt«, sagt Tilke Judd und unternimmt einen Ausflug in die Computergeschichte. Vor wenigen Jahrzehnten kommunizierten nur Programmierer durch Kommandozeilen mit Computern. Später entstanden grafische Nutzeroberflächen mit Ordnern, wie wir sie noch heute nutzen. Inzwischen setzen wir auf Smartphones unsere Finger ein, wenn wir Applikationen bedienen – oder wir sagen dem Telefon einfach, was wir brauchen.
Rund zwei Jahre ist es her, dass Google-Chef Sundar Pichai der Welt den Google Assistant vorstellte. Tilke Judd greift nach ihrem Smartphone, aktiviert die Anwendung und sagt »Hallo«. Darauf entgegnet der Google Assistant: »Hallo. Es freut mich, dich wiederzusehen. Wie kann ich dir helfen?« Tilke Judd: »Wie ist das Wetter in Zürich?« Prompt lädt der Assistant die Wettervorhersage und sagt die Bedingungen sichtbar richtig an: Vor den Fenstern der Cafeteria hat Regen eingesetzt. Tilke Judd beugt sich über das Smartphone auf dem Tisch und stellt eine neue Frage: »Wer ist Barack Obama?« Der Assistant liest sogleich die erste Zeile des Wikipedia-Eintrags über den einstigen US-Präsidenten vor. Dann fragt Tilke Judd: »Und wer ist seine Frau?« Die Antwort des Google Assistant: »Er ist verheiratet mit Michelle Obama.« Die Produktmanagerin blickt auf und lächelt: Diese letzte Antwort ist nicht zuletzt das Ergebnis ihrer Arbeit, und ohne künstliche Intelligenz ist sie nicht denkbar. Der Assistant erkennt den Bezug der Frage und begreift, dass der Zusatz »Und wer ist seine Frau?« mit der vorangegangenen Suche zu tun hat. Der Computer versteht Kontext, wie es für gewöhnlich nur der Mensch kann.
Das Handwerkszeug hinter dieser Leistung heißt maschinelles Lernen: Der Google Assistant durchsucht in Windeseile ein Archiv, in dem alle nur denkbaren Anfragen aus der klassischen Google-Suche hinterlegt sind, nach ähnlich aussehenden Sätzen. »Ist hier die Frau von Barack Obama gemeint?«, fragt Tilke Judd. »Oder die Frau von Google? Oder gar die Frau dieser Tasse hier vor mir?« Die Produktmanagerin macht eine Pause und formuliert einen wichtigen Satz: »Wir können aufgrund der vorhandenen Daten eine Wahrscheinlichkeit dazu ermitteln, welche Frau mit dieser Nachfrage gemeint ist.«
Der Google Assistant hilft immer dann, wenn ein Mensch keine Hand frei hat
Tilke Judd Produktmanagerin Google
Google hat den Assistant übrigens bewusst als Persönlichkeit eingeführt, als eine Art Helfer, der Menschen beim Bewältigen ihres Alltags helfen soll. »Der Google Assistant hilft immer dann, wenn ein Mensch keine Hand frei hat«, sagt Tilke Judd. »Zum Beispiel wenn Sie beim Radfahren eine Notiz machen wollen, wenn Sie beim Kochen etwas auf die Einkaufsliste schreiben möchten oder im Auto nach einer Information suchen.« Selbst Menschen, die keine Erfahrung im Umgang mit Computern haben, die vielleicht nicht lesen können, haben durch die Spracherkennung Zugriff auf das Wissen aus dem Internet.
Eine Reihe von Zukunftsforschern prophezeit bereits, dass Entwicklungen wie der Google Assistant dabei helfen könnten, unsere Augen von den Displays und Bildschirmen zu lösen. Tilke Judd pflichtet dieser Prognose zumindest in Teilen bei. »Stellen Sie sich vor, Sie haben Gäste zu Besuch und möchten online etwas nachsehen. Anders als früher fragen Sie den Google Assistant, sodass jeder am Tisch Ihre Frage und die Antwort hört. So entstehen wieder mehr gemeinschaftliche Erfahrungen: Niemand verschwindet auf der Suche nach einer Information einfach still in einem Bildschirm und taucht nicht mehr auf.« Und dann macht sich Tilke Judd auf den Weg zurück ins Büro. Vorher bringt sie aber noch ihre leere und vor allem unverheiratete Tasse zurück an den Tresen.
Fotografie: Dan Cermak