Stars von nebenan
Sie haben klein angefangen und begeistern Millionen: fünf Kreative, die mit Videos berühmt wurden – und wie sie heute leben und arbeiten
Krass gespielt, Alter!
Neulich in der U8 ist es der alten Dame wieder passiert: »Das ist doch Evelyn«, rief einer, und kurz darauf war die 87-jährige Evelyn Gundlach von einer ganzen Schulklasse umringt. »Ich musste bis zu meiner Haltestelle Autogramme geben«, sagt die Seniorin und lächelt. Die Berlinerin ist an ihren kurzen, knallroten Haaren leicht zu erkennen, und ihre Bekanntheit steigt und steigt, seit sie 2015 zum ersten Mal bei YouTube zu sehen war. In dem Video kämpft sie sich verzweifelt durch das Videospiel »GTA 5 – Grand Theft Auto«. »Wo will ick denn nu wieder hin?«, hört man sie rufen, und: »Det wird hier nichts!«
Es war das erste Mal in Evelyns langem Leben, dass sie einen Controller in den Händen hielt, um Menschen und Fahrzeuge auf einem Bildschirm zu steuern. »Ich hatte keinerlei Ahnung, was auf mich zukommt, aber ich hab’s einfach probiert«, sagt sie. Seit jenem Tag gehört die Berlinerin zu den vier betagten Stars von Senioren Zocken, einem der ungewöhnlichsten unter den Let’s-Play-Kanälen. In dieser populären Webvideo-Kategorie werden Computerspiele vorgeführt und kommentiert. Normalerweise von erfahrenen Spielern, deren Expertise die Community schätzt. Nicht so bei Evelyn und ihren Mitspielerinnen, die allesamt keine Ahnung vom Gaming haben und sich entsprechend ungeschickt anstellen. Die Idee, sie gerade deswegen auf YouTube zu bringen, hatten zwei freie Kameramänner. Sie wählen seither die Spiele aus, filmen und schneiden die Videos. Die erfrischende Unbeholfenheit der Senioren in einer immer perfekter programmierten und gestylten Gaming-Welt ist wohl das Erfolgsrezept des Projektes – und das ist laut Evelyn auch nicht in Gefahr: »In diesem Leben werde ich das Spielen sicher nicht mehr lernen«, sagt sie und lacht laut.
Und obwohl sie es nicht kann, liebt Evelyn Senioren Zocken. »Ich bin so froh, dass ich das machen darf«, erklärt sie. Sie ist überzeugt, dass das Projekt sie geistig und motorisch fit hält – nicht zuletzt, weil ihr die Computerspiele hohe Konzentration abverlangen. Am liebsten spielt sie übrigens »Super Mario«. Vor allem aber freut sie sich über die Anerkennung, die sie dank YouTube bekommt, ob in Tausenden Kommentaren unter den Videos, bei Autogrammstunden auf großen YouTube- und Gaming-Events – oder eben in der Berliner U-Bahn.
Ganz schön selbstbewusst
Als Diana 13 war, lebte sie in einem hessischen 350-Seelen-Dorf und träumte von der großen Welt. Von der New Yorker Upper East Side, Schauplatz ihrer heiß geliebten „Gossip Girls“-Romane. Und von den roten Teppichen und Modenschauen, von denen ihre damalige Lieblingsbloggerin Tavi Gevinson berichtete, eine 14-Jährige mit Einladung auf die New York Fashion Week. »Ich konnte mir als Teenie nichts Tolleres vorstellen als Tavis Leben«, sagt Diana zur Löwen. Inzwischen sind zehn Jahre vergangen und sie ist längst selbst ein Vorbild für viele junge Frauen. Sie hat das Internet genutzt, um aus ihrem Dorfkinderzimmer in alle Welt zu kommunizieren, zuerst mit einem Modeblog, dann mit ihrem YouTube-Kanal, auf dem sie anfangs nur Englisch spricht – »als Training für die Schule«.
Alles, was sie dafür können muss, bringt sich Diana zur Löwen selbst bei. Erst das Fotografieren, dann das Filmen und Schneiden. Sie investiert unzählige Stunden, um ihr neuestes Lieblingskleid zu präsentieren, Schminktipps zu geben, ihren Zuschauern von ihrem Alltag zu erzählen. Als Diana Abitur macht, hat ihr inzwischen deutschsprachiger YouTube-Kanal bereits 100 000 Abonnenten. Während ihres BWL-Studiums in Köln wächst die Anhängerschaft weiter – inzwischen folgen ihr auch auf der Foto- und Video-Plattform Instagram mehrere 100 000 Menschen. Dahinter steckt auch eiserne Disziplin: Diana steht täglich um 6.30 Uhr auf, arbeitet zehn Stunden am Tag an Videos, Fotos und Texten für verschiedene soziale Medien. Sie unterhält Werbekooperationen mit großen Marken, bekommt ungefragt Mode und Kosmetik zugeschickt und darf nun tatsächlich bei der Berliner Fashion Week in der ersten Reihe sitzen. Aber sie spürt auch: Das reicht nicht.
»Ich bin ein sehr neugieriger Mensch«, sagt sie, »Mode und Beauty allein füllen mich nicht aus.« Immer öfter spricht Diana in ihren Videos über Nachhaltigkeit, Politik und vor allem: weibliches Selbstbewusstsein. »Ich möchte meine Zuschauerinnen ermutigen, sich mehr zuzutrauen«, beschreibt Diana ihre Mission. Neben Kosmetikwissen vermittelt sie ihrem 18 bis 24 Jahre alten Kernpublikum nun auch »Girlboss-Hacks« – Tipps zu Motivation, Organisation und zum Erreichen von Zielen. Sie selbst hat längst mehr Ziele erreicht, als sie sich mit 13 hätte träumen lassen. Dabei hat ihr vorläufiger Karrierehöhepunkt wenig mit High Fashion zu tun: 2017 führte sie ein live übertragenes Video-Interview mit Jean-Claude Juncker, dem Präsidenten der EU-Kommission.
Mit Verschwendung zum 100-Millionen-Hit
Als Bausa 2017 ein Video zu seinem bis dahin größten Hit „Was du Liebe nennst“ produzieren soll, gibt ihm sein Plattenlabel 40 000 Euro. Und was macht der Rapper aus Bietigheim-Bissingen? Lässt sich dabei filmen, wie er den Großteil des Budgets verprasst, für Rolex, Goldring, Luxushotels, Frühstück in Paris. Von Geldverschwendung kann trotzdem keine Rede sein: Bausa gelingt eine lässig-lustige Anspielung auf das Protzgehabe der Hip-Hop-Szene – und eines der erfolgreichsten deutschen YouTube-Videos aller Zeiten. Binnen weniger Monate wird der Vier-Minuten-Clip mehr als 100 Millionen Mal aufgerufen.
»Ich glaube, dass ein gutes Video dem Song noch mehr Ausdruck und Wirkung verleiht«, sagt Bausa, der mit Was du Liebe nennst als erster Deutschrapper überhaupt mehr als eine Million Singles verkauft hat und dem auf Instagram mehr als 400 000 Fans folgen. Ein wahnsinniger Erfolg für den Künstler, der als krawalliger Jugendlicher aus dem Erziehungsheim geflogen ist und danach für ein paar Jahre der Musik den Rücken kehrte. Bausa ist überzeugt, dass YouTube einer der Schlüssel für seinen Erfolg ist, nicht nur, weil dort viele Fans zum ersten Mal auf ihn aufmerksam geworden sind. »Für mich ist die Plattform auch ein sehr guter Pool für neue Inspiration«, sagt der Musiker, der sich gern alte Live-Auftritte aus der US-Kultsendung „Soul Train“ ansieht und regelmäßig durch die Empfehlungen scrollt, die YouTube Music ihm anbietet. Auch visuell holt er sich dort Input: »Für das Video zum Song ‚FML‘ haben wir uns stark von Clips aus den 80ern inspirieren lassen, von Michael Jackson, Prince und A-HA.«
Seit seinem ersten, semiprofessionellen Dreh 2014 bringt sich Bausa in jede Videoproduktion mit ein. Spürt er dabei den Druck, seinem 100-Millionen-Hit etwas noch Gewaltigeres folgen zu lassen? »Nein, du musst einen großen Erfolg genauso abhaken wie einen Flop«, sagt Bausa, der YouTube auch nutzt, um zwischen Studio, Drehs und Auftritten den Kopf freizukriegen. Meist mit Fußballvideos auf dem Smartphone. Sein Club heißt Werder Bremen, in den letzten Jahren oft nur nur Bundesliga-Mittelfeld. Aber Bausa weiß natürlich: Ein steiler Aufstieg ist immer drin.
Kochen mit Begeisterung
Die wohl bekannteste Privatküche Deutschlands gehört zu einer Dreizimmerwohnung in Waghäusel, einer Kleinstadt zwischen Mannheim und Karlsruhe. Die Küche ist hell, modern und zum Wohnzimmer hin offen, und Sally Özcan kocht hier für ihre beiden Töchter, ihren Mann Murat – und für Millionen Zuschauer. Dreimal die Woche wird Sallys Küche zu Sallys Welt, Deutschlands erfolgreichstem YouTube-Kanal rund ums Kochen und Backen. Dann zeigt und erklärt die ausgebildete Grundschullehrerin, wie man Milchschnitte selbst macht, Sushi zubereitet oder perfekte Spaghetti Bolognese hinbekommt.
»Kochen und Backen ist nicht schwierig«, sagt die Frau, die schon als Kind gern in der Küche stand und im Lehramtsstudium auch Hauswirtschaft belegte. »Die Kunst ist es, andere dafür zu begeistern.« Dass sie dafür Talent hat, bemerkte Sally über Nacht: Weil viele ihrer Freundinnen sich mit Hefeteig schwertun, filmt sie sich 2012 mit Tischstativ beim Nusszopf-Backen. Sie dreht vier Versionen, schneidet die Aufnahmen mithilfe einer Videoanleitung zusammen und stellte den Clip bei YouTube und Facebook ein. »Am nächsten Morgen hatte das Video über 1000 Aufrufe!« Sally, damals noch Studentin, kauft sich eine bessere Kamera und dreht weiter und weiter – zum Leidwesen ihres Mannes, der sich Sorgen ums Geld macht. Vor allem die Backzutaten schlagen aufs Budget der jungen Familie.
Sally macht trotzdem weiter, weil es ihr so viel Spaß macht. Irgendwann erklärt ihr ein Freund, wie sie über ihren YouTube-Kanal automatisch Einnahmen erzielen kann. Nach dem Referendariat setzt sie alles auf eine Karte und konzentriert sich voll auf ihre Rolle als Creator. »Ein bisschen fühle ich mich aber als Lehrerin, wenn ich vor der Kamera koche und dafür Feedback von meiner Community bekomme«, sagt Sally, die inzwischen auch Unternehmerin ist: Sie beschäftigt 36 Mitarbeiter, entwirft und verkauft Küchenprodukte, veröffentlicht Kochbücher, hat eine TV-Sendung bei Vox und insgesamt rund mehr als Millionen Anhänger auf YouTube, Facebook und Instagram. Die Küche ihrer Dreizimmerwohnung wird sie bald verlassen, denn am anderen Ende von Waghäusel bauen Sally und ihr Mann ein großes Haus für ihre Familie, ihre Eltern – und Millionen Zuschauer. Die dürfen dann nicht mehr nur in die Küche schauen: Sallys Welt soll weiter wachsen und bald auch Tipps aus dem Garten und der Garagenwerkstatt liefern.
Mit den Größten auf dem Platz
Konstantin »Konzi« Hert und sein Team spielen gegen Stars wie Ronaldo, Lewandowski und Neuer. Sie sitzen bei der WM noch kurz vor Anstoß auf der deutschen Trainerbank und erreichen Millionen Zuschauer, wenn sie Fußballschuhe testen. Fußballprofis sind sie trotzdem nicht, zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Das Spielfeld der freekickerz sind soziale Medien, wo sie mit Freistoßduellen gegen Superstars, Fußballtricks, Spielanalysen und Produkttests insgesamt mehr als zehn Millionen Anhänger begeistern.
Konzi, der seit 2010 den inzwischen weltgrößten Amateurfußball-Kanal auf YouTube sowie Ableger auf Facebook und Instagram betreibt, ist ein Fan wie Millionen andere: Er liebt Fußball, hat in der Jugend im Verein gekickt, ohne Aussicht auf eine Profi-Karriere: »Dafür habe ich zu spät angefangen.« Doch mit freekickerz bewies er perfektes Timing. Was als Hobby neben dem Wirtschaftsstudium begann, ist längst ein Vollzeitjob, der die 5-Tage-Woche bei Weitem übersteigt. Aber auch ein Traumjob, bei dem Konzi und seine Freunde ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie ihre Leidenschaft für Fußball und Bewegtbild vereinen und Weltstars kennenlernen. Geplant war das Ganze so nicht, geklappt hat es dennoch. »Wenn ich den Kanal zum Geldverdienen gestartet hätte, wäre es wahrscheinlich nicht so gut geworden«, erklärt Konzi, für den Qualität das wichtigste Kriterium ist. Er veröffentlicht ein Video erst, wenn er völlig davon überzeugt ist – auch wenn er dafür mehrere Tage an einem Clip arbeiten muss.
Dass diese Strategie aufgeht, beweist die treue Community, die die freekickerz gezielt ins Programm einbinden: Zusammenschnitte von spektakulären Amateurtoren, die User filmen und einschicken, sind besonders beliebt und laufen sogar Profi-Challenges den Rang ab. Konzi ist überzeugt, dass diese Kombination aus leidenschaftlichen Amateuren und nahbaren Profis seine Kanäle in den sozialen Medien so erfolgreich macht. Und dass es sich lohnt, die eigenen Wünsche nicht aus den Augen zu verlieren: »Man kann alles erreichen, wenn man sich auf eine Sache spezialisiert und dranbleibt.« Seine freekickerz beweisen das nicht nur mit hohen Abozahlen, sondern auch auf dem Platz: In ihren Freistoß- und Elfer-Duellen haben sie Robert Lewandowski ebenso geschlagen wie Pierre-Emerick Aubameyang und Mario Balotelli.
Fotos: Sandra Stein (Diana zur Löwen); Felix Brüggemann (Evelyn Gundlach); brownshootta (Bausa); Petra Arnold (Saliha Özcan); Ilya Pusekoff (Konstantin Hert)