Die Null als großes Ziel
Das Internet ist ein noch recht überschaubarer Ort, als Urs Hölzle zum ersten Mal das technische Herz von Google besichtigt. Es ist Februar 1999, und Google-Mitgründer Larry Page hat Hölzle in ein Rechenzentrum im kalifornischen Santa Clara eingeladen, in dem Internetunternehmen Flächen mieten können. Unter anderem das Online-Auktionshaus eBay hat zu jener Zeit seine Server in der Halle untergebracht, auch die Internet-Suchmaschine AltaVista – und eben Google. Im Abteil des wenige Monate zuvor gegründeten Start-ups geht es besonders eng zu: Auf 2,5 Quadratmetern stapeln sich 30 Rechner. Auf dem Großteil der Server lagert der Webseiten-Index der jungen Suchmaschine, auf den übrigen läuft der Crawler, der im Internet Webseiten ausliest und indexiert. »Der Raum war sehr chaotisch und so winzig, dass man ihn nicht wirklich betreten konnte«, erinnert sich Hölzle an seinen Besuch.
Dennoch nahm der gebürtige Schweizer damals einen Job bei Google an. Eine Entscheidung, die alles andere als selbstverständlich war, denn Hölzle ist zu dem Zeitpunkt bereits Professor für Computer Science an der Universität Santa Barbara. Bei Google, das schien klar, würde er weniger Geld verdienen. Doch Urs Hölzle nutzte die neue Suchmaschine bereits selbst und war wie viele Computerfachleute an der US-Westküste überzeugt, dass sie den bestehenden überlegen ist. Außerdem gefiel ihm die Vision von Larry Page und Sergey Brin, das Wissen der Welt für alle einfach zugänglich machen zu wollen. So wurde Urs Hölzle Mitarbeiter Nummer 8 des Start-ups Google und brachte die Nummer 9 gleich mit: Sein Hund Yoshka, ein Leonberger, legte den Grundstein dafür, dass Google bis heute ein hundefreundliches Unternehmen ist.
Als Chefentwickler war der damals 35-Jährige Hölzle von Beginn an damit befasst, eine immer leistungsfähigere Infrastruktur zu schaffen, die der stetig wachsenden Nutzung der Suchmaschine entsprach. Wie gut oder schlecht ihm das gelang, zeigte sich in den frühen Jahren immer montags: Viele Menschen hatten zu jener Zeit noch keinen Internetanschluss zu Hause und tippten zum Wochenanfang im Büro all die Fragen ins Suchfenster, die sich übers Wochenende angesammelt hatten. Und Montag für Montag wuchs die Zahl der Anfragen um fünf bis zehn Prozent.
Neben vielen technischen Herausforderungen war auch Nachhaltigkeit schon in der Frühphase von Google ein Thema für die Gründer Larry Page und Sergey Brin sowie den Rest des Teams. Hölzle selbst hatte sich bereits als Jugendlicher in der Schweiz für die Naturschutzorganisation WWF engagiert. Als das Team mit Google das erste eigene Bürogebäude bezog, achtete man auf umweltverträgliche Bauteile und Teppiche. Wenig später geriet der Energieverbrauch der Server in den Fokus. »Das war damals auch eine Geldfrage«, erklärt Hölzle, »denn Strom und Kühlung verursachen beträchtliche Kosten.« Je mehr die technische Infrastruktur wuchs, desto wichtiger wurde für Google die Energieeffizienz der Datenzentren. Nach und nach begann das Unternehmen, eigene, sparsamere Lösungen zu entwickeln – zunächst für die Rechner in den Datenzentren, dann für die kompletten Datenzentren, die Google ab 2004 nicht mehr nur mietete, sondern selbst baute.
»Die Einsparmöglichkeiten waren enorm, weil es bei Computern und Rechenzentren jahrzehntelang nur um Funktionsfähigkeit ging, nicht um Effizienz«, sagt Urs Hölzle. Aber weder er noch das Unternehmen gaben sich mit den ersten Erfolgen zufrieden. Bis heute besteht eine der wichtigsten Aufgaben von Urs Hölzle als Senior Vice President for Technical Infrastructure darin, die Rechenzentren an mittlerweile 22 Standorten in aller Welt effizienter zu machen. Mit Erfolg: Googles Anlagen arbeiten heute im Durchschnitt doppelt so energieeffizient wie ein typisches Datenzentrum vergleichbarer Unternehmen. Und mit der gleichen Menge Strom erzeugt Google eine siebenmal höhere Rechenleistung als noch vor fünf Jahren.
Dennoch: Strom in beträchtlichem Umfang verbraucht Google natürlich weiterhin, egal wie energieeffizient seine Infrastruktur ist. Im Jahr 2019 waren es insgesamt rund 12 200 Gigawattstunden, das entspricht in etwa dem Verbrauch Berlins, der 2020 bei 12 800 Gigawattstunden lag. Deshalb fing Google früh an gegenzusteuern. Als erstes großes Unternehmen der Welt wurde Google 2007 CO2-neutral, indem es seine Emissionen berechnete, reduzierte und durch unterschiedliche Klimaschutzprojekte kompensierte.
Seit 2017 erwirbt Google erneuerbare Energie im Umfang seines kompletten Strombedarfs. Allein in Europa will das Unternehmen bis 2025 zwei Milliarden Euro in Projekte zur CO2-freien Energieerzeugung und in nachhaltige Infrastrukturen investieren. Noch lässt sich zwar nicht jedes Rechenzentrum zu jeder Uhrzeit mit CO2-freier Energie betreiben – unter anderem weil Wind- und Sonnenenergie nicht ständig zur Verfügung stehen. Doch allen noch nötigen konventionellen Strom gleicht Google mit zusätzlich produzierter erneuerbarer Energie aus. »Bis 2030 wollen wir alle Rechenzentren rund um die Uhr aus regenerativen Quellen betreiben«, sagt Hölzle mit Blick auf das bislang ambitionierteste Umweltziel von Google. Wenn das gelänge, wäre jede Suchanfrage über Google CO2-frei, aber auch jede über Gmail versendete Mail oder jedes auf YouTube gesehene Video – und dies nicht nur, wie bisher, in der Jahresbilanz, sondern rund um die Uhr. Aktuell arbeiten bereits fünf Google-Rechenzentren zu 90 Prozent der Zeit CO2-frei. »Unser ›Rund-um-die-Uhr-CO2-frei-Ziel‹ ist so ehrgeizig wie die Mondlandung, wie der Bau eines Quantencomputers oder die Entwicklung eines selbstfahrenden Autos«, betonte Google-Chef Sundar Pichai in einem Blog-Beitrag zum Tag der Erde 2021 im April.
Auch Urs Hölzle ist sich bewusst, wie schwierig dieses Unterfangen ist. »Es wäre übertrieben zu sagen, wir wüssten schon genau, wie wir das erreichen«, gibt Hölzle zu. Dennoch hält er das Ziel für realistisch und setzt – wie seit jeher in seiner Laufbahn – auf technologischen Fortschritt. Das eigentliche Ziel ist ohnehin deutlich größer, als Google zum ersten CO2-freien Konzern zu machen. »Der größte Widerstand ist oft der Glaube, dass etwas nicht geht«, erklärt Hölzle. »Deshalb wollen wir anderen Unternehmen zeigen, dass es kostengünstig möglich ist, nur mit erneuerbaren Energien auszukommen.« Die Vorbildrolle ist nur ein Weg, auf dem Google Nachhaltigkeit über das eigene Unternehmen hinaus vorantreiben möchte. Der andere Weg sind die eigenen Produkte. Schon bislang, argumentiert Urs Hölzle, spare es Unmengen an CO2 ein, wenn sich etwa dank der Wegbeschreibung in Google Maps weniger Menschen mit ihrem Auto verfahren. Künftig will Google seine wichtigsten Angebote so erweitern, dass sie bis 2022 einer Milliarde Nutzerinnen und Nutzern dazu verhelfen, nachhaltiger zu leben. Ein Beispiel: Google Maps zeigt bald nicht nur die schnellste und kürzeste, sondern auch die Route mit dem geringsten CO2-Fußabdruck an.
Urs Hölzle glaubt, dass auch die intensiven Erfahrungen und Fortschritte, die Google seit 1999 mit seinen Rechenzentren gemacht hat, noch große Wirkung entfalten können. »Mithilfe künstlicher Intelligenz ist es uns gelungen, die Kühlenergie in unseren Datenzentren nochmals um 30 bis 40 Prozent zu reduzieren«, erklärt er. Das Steuersystem, das über maschinelles Lernen individuell auf die Ansprüche des jeweiligen Gebäudes reagiert, wurde inzwischen auch an Bürogebäuden getestet und soll bald auch anderen zur Verfügung stehen. Für Urs Hölzle ist die Technologie auch ein Beispiel dafür, dass die Digitalisierung sich unterm Strich positiv auf das Klima auswirkt. »Allein dieses eine Ding könnte mehr Energie einsparen, als das gesamte Internet verbraucht.«
Fotos: Winni Wintermeyer, Google
Nachhaltige Vorreiter: Europäische Rechenzentren
Google betreibt in Europa fünf Rechenzentren, davon vier in Nachbarländern Deutschlands. Das bislang modernste wurde Ende 2020 nach zwei Jahren Bauzeit in Dänemark fertiggestellt. Die Anlage arbeitet vom ersten Tag an zu mindestens 90 Prozent der Zeit mit CO2-freier Energie, weil Google während des Baus zusätzlich in fünf Solarparks in Dänemark investiert hat, die bei Idealbedingungen insgesamt bis zu 160 Megawatt grünen Strom liefern können. Auch in den übrigen europäischen Rechenzentren steht Energieeffizienz im Fokus: Das Zentrum im niederländischen Eemshaven war zu seiner Eröffnung 2016 das erste, dessen Energieverbrauch von Beginn an zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien ausgeglichen wurde. Als der Standort im belgischen Saint-Ghislain 2010 in Betrieb ging, kam er als erstes Rechenzentrum von Google weltweit vollständig ohne Kälteerzeugung aus. Stattdessen wird recyceltes Abwasser aus einem nahe gelegenen Industriekanal zur Kühlung der Server genutzt. Das Kühlsystem des Datenzentrums im finnischen Hamina wiederum wird mit Wasser aus dem Finnischen Meerbusen gespeist.
Screenshot: Google Maps