Ein smarter Knopf für Notfälle
Mit Apps macht Karuna jungen Obdachlosen das Leben etwas leichter. Künftig hilft die Initiative auch anderen dabei, soziale Innovationen zu entwickeln
Es war am 23. Dezember, als bei Jörg Richert ein Notruf einging. Zwei junge Frauen, obdachlos, hatten seit Tagen keine Unterkunft gefunden. Es war eiskalt, die Frauen verzweifelt, erschöpft – und Hunderte Kilometer von Richert entfernt. Der überlegte kurz und ging dann ins Internet: Von Berlin aus buchte er den beiden ein Hotelzimmer in Nürnberg.
»Der Notfallknopf hat schon vielen Menschen das Leben gerettet«, sagt Richert, Gründer der Organisationen »Karuna – Hilfe für Kinder und Jugendliche in Not« und »Karuna – die Sozialgenossenschaft mit Familiensinn«. Der Knopf gehört zur App Mokli, die Karuna gemeinsam mit jungen Leuten erdacht hat, die selbst einmal obdachlos waren. Mokli ist eine Hilfeplattform fürs Smartphone, die obdachlosen Jugendlichen gut 3500 Einrichtungen bundesweit anzeigt, in denen sie Essen, medizinische Hilfe, einen Schlafplatz oder Beratungsangebote finden. Mit der Idee gewann Karuna bei der Google.org Impact Challenge 2016, die den Einsatz technischer Hilfsmittel für soziales Engagement fördert.
Auch bei der Zielgruppe kam die mehrsprachige App von Anfang an gut an: Binnen zehn Monaten wurde Mokli rund 65 000-mal aufgerufen. Doch für Karuna waren die digitalen Hilfsmöglichkeiten damit nicht erschöpft – im Gegenteil: Der überraschend häufig genutzte SOS-Button, der eine direkte Textnachricht an Karuna auslöst, brachte die Helfer auf eine neue Idee: »Wie toll wäre es, wenn man in einer akuten Notsituation wie der am 23. Dezember direkt Geld an Hilfsbedürftige transferieren könnte, und das auch, ohne dass der Empfänger ein Konto besitzt?«, fasst Richert sie zusammen. Genau daran tüftelt derzeit eine Arbeitsgruppe der Karuna-Sozialgenossenschaft. Dort sind IT-Experten ebenso aktiv wie junge Erwachsene, die früher auf der Straße gelebt haben und jetzt bei Karuna sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.
Am Ende soll eine App auf Basis der besonders sicheren Blockchain-Technologie stehen, über die jeder sehr einfach an eine Organisation oder direkt an Obdachlose spenden und auf Wunsch mitverfolgen kann, wofür das Geld verwendet wurde. »Mit jeder Hilfe gewinnen Bedürftige ein Stück Selbstachtung«, sagt Richert, »vor allem, wenn sie selbst entscheiden können, wie sie die Spende einsetzen.« Das funktioniert umso besser, je mehr Geschäfte, Restaurants, Hotels und weitere Partner mitmachen: Sie müssen die digitale Währung annehmen, auf der die App basieren wird. Auch um diese Akzeptanz kümmern sie sich in der App-Arbeitsgemeinschaft, an der neben Google auch das Unternehmen Arup beteiligt ist. Und wieder bekommen sie finanzielle Unterstützung: Mit der Spenden-App gewann Karuna 2018 zum zweiten Mal bei der Impact Challenge – das gelang bisher keiner anderen Initiative.
Wenn es nach Jörg Richert ginge, wären Apps und andere Technologien im Sozialwesen viel stärker verbreitet. »Leider wird die Digitalisierung in der sozialen Arbeit hoffnungslos vernachlässigt«, sagt der Berliner, der für sein Engagement bereits mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde. Künftig will er über Karuna hinaus dazu beitragen, Innovationsgeist für gute Zwecke zu wecken. Im Sommer bezieht die Sozialgenossenschaft gemeinsam mit der Spendenplattform Betterplace neue Räumlichkeiten im ehemaligen Umspannwerk in Kreuzberg. Das B612, benannt nach dem Planeten des »Kleinen Prinzen« von Antoine de Saint-Exupéry, geht als soziales Innovationszentrum an den Start: ein Ort für Sozialunternehmer und Start-ups der Gemeinwohlarbeit, die sich in Berlin oder anderswo verwirklichen wollen. »Hauptsache«, sagt Jörg Richert, »sie machen das Leben ein bisschen besser.«
Fotografie und Grafik: Karuna