Die können helfen
Für Informationsfreiheit und faire Wahlen, gegen Terror-Propaganda und Korruption: Mit digitalen Technologien hilft die Google-Initiative Jigsaw, Menschen auf der ganzen Welt vor Bedrohungen zu schützen
Wenn im Mai 2019 über die künftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments abgestimmt wird, geschieht das mit einer der größten demokratischen Wahlen der Welt: Rund 400 Millionen Wahlberechtigte aus 27 Staaten dürfen 705 Abgeordnete bestimmen, die die Interessen der Bürger in Brüssel und Straßburg vertreten. Noch viel mehr als bei vorangegangenen Europawahlen wird dieses Jahr die Sicherheit der Abstimmung eine Rolle spielen. »Alle Mitgliedstaaten müssen die Bedrohung der demokratischen Prozesse und Institutionen durch Cyberangriffe und Desinformationen ernst nehmen«, warnte EU-Sicherheitskommissar Julian Kling kürzlich vor Manipulation und Einflussnahme auf die Wahl.
Jigsaw schützt Webseiten vor DDoS-Attacken
Jamie Albers hält solche Sorgen für durchaus berechtigt. »Kein Land ist immun gegen diese Probleme«, sagt die Frau, die sich seit 2016 intensiv mit dem Schutz von Wahlen in aller Welt beschäftigt. Albers arbeitet in New York und verantwortet das Marketing bei Jigsaw (Deutsch: »Puzzle«), einem Innovationszentrum des Google-Mutterkonzerns Alphabet. Rund 60 Mitarbeiter entwickeln dort Technologien, die Menschen vor Gefahren und Einschränkungen in der Online- und Offlinewelt schützen sollen. Ihre digitalen Werkzeuge unterstützen Engagierte rund um den Globus dabei, gegen Cybermobbing oder Korruption, gegen Geldwäsche, terroristische Propaganda oder gegen die Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit zu kämpfen.
Seit einiger Zeit beobachten Jamie Albers und ihr Team zum Beispiel, dass gerade in Wahlkampfzeiten feindselige Aktivitäten im Internet zunehmen. Albers kam 2016 in Ecuador mit dem Problem in Berührung: Politische Journalisten und Aktivisten berichteten von massiven Behinderungen ihrer Arbeit durch Phishing-Angriffe, bei denen vertrauliche Daten ausgespäht wurden. Außerdem erzählten sie von sogenannten DDoS-Attacken. Das Kürzel steht für »Distributed Denial of Service« und beschreibt eine erschreckend günstige Methode, um beispielsweise Journalisten mundtot zu machen: Für 20 Euro lässt sich eine Nachrichtenwebseite mit massenhaften, sinnlosen Anfragen überfluten und dadurch lahmlegen. In Südamerika erfuhr Jamie Albers auch, dass es infolge gezielter Belästigungen in Ecuador kaum mehr investigative Journalisten gibt. »Wir fanden außerdem heraus, dass einige Monate vor der Wahl ganze Armeen von Chat-Robotern in Kommentarbereichen und Onlineforen unterwegs waren, um mit Provokationen die öffentliche Debatte zu beeinflussen.«
Jamie Albers begann, verschiedene digitale Sicherheitswerkzeuge zu entwickeln. Zusammengenommen nennt sie diese »Protect Your Election«, zu Deutsch: Schütze deine Wahl. Es handelt sich um kostenlose Programme, die Journalisten, Nichtregierungsorganisationen und Menschen helfen können, die sich auf ihren Webseiten mit Informationen zu Wahlen befassen. Mithilfe des Programms »Erweiterte Sicherheit« zum Beispiel lassen sich Onlinekonten vor unbefugten Zugriffen schützen. »Project Shield« schirmt Internetseiten gegen DDoS-Angriffe ab. Die von Jigsaw entwickelte Programmierschnittstelle »Perspective« unterstützt die Moderatoren von Kommentarbereichen dabei, eine offene, respektvolle Diskussionskultur sicherzustellen: Sie erleichtert das Erkennen von Beleidigungen und Belästigungen in Onlinediskussionen.
Albers und Kollegen beschäftigen sich mit geopolitischen Herausforderungen
Die beschriebenen Gefahren gibt es nicht nur in Ecuador. Im US-Wahlkampf 2016 wurde die demokratische Partei Opfer einer großen Phishing-Attacke. Und kurz vor der niederländischen Parlamentswahl 2017 meldete sich ein Kollege aus Amsterdam bei Jamie Albers: Zwei der wichtigsten Informationsseiten zur Wahl waren nach DDoS-Attacken nicht mehr abrufbar. »Spätestens da war klar, dass wir ›Protect Your Election‹ weltweit verfügbar machen müssen«, erinnert sich Albers. Inzwischen gibt es ihr Programm in mehr als 20 Ländern, und es hilft dabei, dass Menschen ungehindert auf wahlrelevante Informationen im Internet zugreifen können.
Ehe die Jigsaw-Mitarbeiter im New Yorker Stadtteil Chelsea ihre modernen Büros mit bunten Sitzmöbeln, eleganten Lounges und Schlafkabinen für Power Naps betreten, begegnen sie im Foyer an der Wand einer Frage, formuliert in übergroßen Lettern: »Wie kann Technologie den Menschen zu einer sichereren Welt verhelfen?« Tag für Tag arbeiten Techniker, Produktmanager, Designer, Forscher, Politik- und Marketingexperten bei Jigsaw an einer Antwort. Die Mitarbeiter stammen nicht nur aus den USA, sondern auch aus Südamerika und Europa oder aus dem Nahen Osten. Sie bringen unterschiedlichste Perspektiven mit, wenn sie in wechselnden Teams Bedrohungen identifizieren, über mögliche Gegenmittel nachdenken und schließlich die entsprechenden Technologien programmieren und veröffentlichen.
In der New Yorker Zentrale findet aber nur ein Teil der Arbeit statt. So oft es geht, recherchieren die Jigsaw-Mitarbeiter an Brennpunkten in aller Welt. In der Vergangenheit sprachen sie im Irak mit IS-Aussteigern über die Onlinerekrutierungsstrategien der Terrororganisation oder tauschten sich in Mazedonien mit »Trolls« aus, die hinter gezielten Desinformationskampagnen in sozialen Medien stehen. Meist beschäftigen sich Jamie Albers und ihre Kollegen bei ihrer Forschung mit geopolitischen Herausforderungen, die in der öffentlichen Wahrnehmung noch gar nicht existieren. »Meine Aufgabe ist es dann, ein Bewusstsein zu schaffen und das Problem verständlich zu machen«, sagt Jamie Albers. Zurzeit arbeitet sie schon wieder an einem neuen Projekt. Allerdings noch im Geheimen, wie so oft.
AKTUELLE JIGSAW-PROJEKTE
Unfiltered News
zeigt mithilfe von Google News, welche Nachrichten in einem Land weniger abgedeckt werden als in anderen Teilen der Welt.
unfiltered.news
Perspective
unterstützt Moderatoren dabei, eine offene und respektvolle Diskussionskultur in Internetforen sicherzustellen.
perspectiveapi.com
Project Shield
verwendet die Infrastruktur von Google, um zum Beispiel unabhängige Nachrichtenwebseiten oder die Onlineangebote von Menschenrechtsorganisationen vor DDoS-Angriffen zu schützen: Bei solchen Attacken werden Internetseiten absichtlich mit einer großen Zahl von Anfragen überfrachtet. Project Shield bietet den Schutz vor DDoS-Angriffen auch in Europa, wo vom 23. bis 26. Mai 2019 das Parlament gewählt wird. Organisationen oder Webseitenverantwortliche, die im Vorfeld Angriffe befürchten, können sich auf projectshield.google registrieren. Dort erfahren sie alles Weitere dazu, wie Project Shield Angebote schützen kann.
Digital Attack Map
zeigt auf einer öffentlich zugänglichen Karte die schwersten DDoS-Angriffe an, die gerade auf der Welt stattfinden:
digitalattackmap.com
Password Alert
benachrichtigt Nutzer, wenn eine Webseite versucht, ihr Passwort zu stehlen.
chrome.google.com/webstore/detail/password-alert
Outline
versorgt Nachrichtenmedien mit einem geschützten VPN-Zugang, damit Journalisten sicher im Internet recherchieren und kommunizieren können.
getoutline.org
Intra
schützt Internetnutzer vor sogenannten DNS-Manipulationen – Beeinflussungen von Domain Name Systems –, mit denen Hacker den Zugriff auf Nachrichtenseiten, soziale Medien oder Messaging-Apps blockieren.
getintra.org
Weitere Informationen zu Jigsaw auf:
Fotografie: Reto Sterchi