„Ein digitales Abbild der Stadt erstellen“
Alle sind online, vieles wird anders: ein Gespräch mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter über boomende Branchen und die Wirkung der Digitalisierung auf die Stadt und ihre Bewohner
Herr Reiter, wie schlägt sich die Digitalisierung in Ihrer Arbeit als Oberbürgermeister nieder?
Der Arbeitsalltag des Münchner Oberbürgermeisters ist in vielen Punkten noch richtig analog: Ich habe sehr viel und sehr gern mit Menschen zu tun und möchte daher nicht auf den direkten Kontakt verzichten. Das Smartphone ist aus dem Arbeitsalltag natürlich nicht mehr wegzudenken. Und die Social-Media-Kanäle bieten neue Möglichkeiten, um gerade die jüngeren Bürgerinnen und Bürger besser zu erreichen.
An vielen Stellen wird die städtische Verwaltung digitaler. Welche Probleme bringt diese Transformation mit sich?
Nehmen wir das Onlinesystem zur Terminvergabe in den Bürgerbüros: Wir sehen, dass es nicht reicht, wenn die Bürgerinnen und Bürger aus einer nur beschränkten Zahl von Terminen auswählen können. Die Menschen sollen unsere Leistungen mehr oder weniger automatisch bestellen können – einmal reinschauen, alles erledigen. Dazu müssen wir unsere Abläufe anschauen und entscheiden, in welchen Fällen wir diese digital abbilden können. In den kommenden Jahren werden wir deshalb die elektronische Akte in der Stadtverwaltung ausrollen, die eine wesentliche Voraussetzung für digitale Verwaltungsprozesse bildet.
Das klingt nach einigermaßen viel Arbeit.
Viel ist aber auch schon geschafft! Gerade im Bereich Beschaffung und Finanzen sind mit eVergabe, ePayment und eRechnung viele innovative Projekte schon umgesetzt oder in der Pipeline. Auch die Vermittlung von geförderten städtischen Wohnungen mit dem Verfahren »Sowon« ist ein gutes Beispiel für die Digitalisierung in der Stadtverwaltung. Wir haben uns gerade auch erfolgreich um die Förderung des Projekts »Digitaler Zwilling« mit Bundesmitteln beworben: In diesem Projekt soll ein digitales Abbild der Stadt erstellt werden. Idealerweise können wir in Zukunft mit Echtzeitdaten umfassendere Planungen vornehmen, als das bisher möglich war – etwa bei der Planung von Wohnungen oder bei der Steuerung des Verkehrsflusses.
Was sagen Sie, wenn Sie das »digitale München« im Ausland vorstellen dürfen?
Da verweise ich auf das gute Abschneiden in den Studien und Untersuchungen zum Thema »Digitale Regionen«. Danach zählt München zu den digital affinsten Regionen Deutschlands und ist durch die leistungsfähige digitale Infrastruktur als Standort sehr attraktiv. München hat sich zudem auch zu einem Standort für künstliche Intelligenz entwickelt. Hier kann man die Ansiedlung von IBM mit dem Supercomputer Watson und das Entwicklungszentrum von Google Deutschland als Beispiele nennen. Die TU München hat nun die Munich School of Robotics and Machine Intelligence gegründet. Und München ist zum wichtigsten Informations- und Kommunikationsstandort (IKT) in Deutschland geworden – mit einem Beschäftigungsanteil von knapp zehn Prozent hat sich diese Branche zu einer der beschäftigungsstärksten Einzelbranchen entwickelt. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat die Beschäftigung im IKT-Sektor um mehr als 60 Prozent zugenommen.
Fast jede Stadt entwickelt mit ihren Unternehmen Schwerpunkte in bestimmten Branchen. In welchen Bereichen wachsen gerade München-typische Digitalkompetenzen heran, die in die Welt hinausstrahlen könnten?
In erster Linie ist München sicherlich der Standort der großen deutschen Mobilitätsexperten BMW und ADAC. Hier gibt es bereits intensive Kontakte und Kooperationen zur Digitalisierung. München ist überdies Standort von zwei Digital Hubs der Bundesregierung – dem Mobility Hub und dem InsurTech Hub. Im Rahmen dieser deutschlandweiten Digital-Hub-Initiativen werden durch Zusammenwirken aller Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Start-up-Community die Innovationen in diesen Bereichen vorangetrieben. Viele Projekte gibt es auch im Bereich moderner Mobilität, zum Beispiel »Smarter Together«: An eigens eingerichteten E-Mobilitätsstationen stellen wir Elektroautos und MVG-eRäder zum Ausleihen zur Verfügung. So verknüpfen wir individuelle Mobilität und öffentlichen Nahverkehr.
Ich möchte auf den direkten Kontakt zu den Menschen nicht verzichten
Dieter Reiter
Sie haben es angedeutet: In den vergangenen Jahren sind viele IT-Experten in die Stadt gekommen, Wohnraum wird knapp. Was kann die Stadt tun, um der Nachfrage gerecht zu werden?
Hierfür braucht es adäquate Lösungen, deshalb habe ich mich im vergangenen Jahr dafür ausgesprochen, auch die Unternehmen beim Wohnungsbau in die Pflicht zu nehmen. Große Privatunternehmen dürfen nicht aus ihrer sozialen Verantwortung entlassen werden, denn Werkswohnungen fehlen und könnten zum Beispiel den Wohnungsmarkt in München erheblich entlasten. Weiterhin braucht es aber auch unsererseits kreative Lösungen, um neuen Wohnraum zu schaffen – zum Beispiel Wohnungen über Parkplätzen. Und wir brauchen eine enge Kooperation mit dem Münchner Umland.
Kann die Digitalisierung dazu beitragen, das Wohn- und auch das Verkehrsproblem ernsthaft in den Griff zu bekommen?
Ich bin davon überzeugt, dass die Digitalisierung durch neue Technologien zu mehr Effizienz in Wirtschaft und Arbeit, bei Mobilität und auch beim Zusammenleben und Wohnen führen wird. Das IT-Referat bereitet derzeit eine stadtweite Digitalisierungsstrategie vor, die alle Lebensbereiche umfasst. Eine leistungsfähige und flächendeckend verfügbare digitale Kommunikationsinfrastruktur ist Voraussetzung für die Digitalisierung der Metropole München. Eine wichtige Rolle spielen dabei IoT-Anwendungen …
Sie sprechen vom Internet of Things, dem Internet der Dinge, bei dem Maschinen mit dem Internet verbunden sind.
Genau. Verschiedene Objekte wie zum Beispiel smarte Altkleidercontainer oder Schadstoffsensoren sammeln dabei Daten, die für die rechtzeitige Leerung von Containern oder die Beurteilung der Luftqualität genutzt werden können. In München werden IoT-Plattformen dafür sorgen, dass unterschiedliche Sensordaten gesammelt und zur Entwicklung innovativer Lösungen in Bereichen wie Mobilität oder Sicherheit genutzt werden können.
An vielen Stellen gibt es Rufe nach einer schnelleren Digitalisierung, vor allem aber auch nach schnellerem Internet. Wie begegnen Sie diesen Forderungen?
Zugang zum Glasfasernetz ist für die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen im Stadtgebiet natürlich einer der wichtigsten Standortfaktoren. Darüber hinaus sind nur bei einem Ausbau des Mobilfunkangebots zu einem lückenlosen Netz auf dem neuesten 5G-Standard zukunftsfähige Anwendungen möglich.
An welche denken Sie?
Ich denke an das autonome Fahren, an die Vernetzung von innovativen Steuerungssystemen für Mobilität, Energie und Umwelt oder auch an digitale Gesundheitsanwendungen. Die Landeshauptstadt fördert den Ausbau dieser Netze durch begleitende Maßnahmen. Ich will auch Projekte der Stadtwerke München nennen: Aktuell ist das Glasfasernetz München der SWM das größte innerhalb Europas. In den kommenden fünf Jahren sollen weitere 35 000 Gebäude mit mehr als 230 000 Wohneinheiten außerhalb des Mittleren Rings Zugang zum schnellen Internet erhalten.
Während in Garching die Zukunft entwickelt wird, nutzen ältere Menschen vielleicht nicht mal Mailprogramme. Wie lässt sich diese digitale Kluft in der Stadtgesellschaft verringern?
Das ist ein interessanter Vergleich. Die digitalen Technologien greifen in alle Lebensbereiche ein. Es ist insofern keine Altersfrage, zumal es zahlreiche Studien gibt, die deutlich machen, dass die Seniorinnen und Senioren aktiver Teil einer digitalen Gesellschaft sein wollen. Sie stehen der Digitalisierung wesentlich offener und neugieriger gegenüber als allgemein angenommen.
Weitere 35 000 Gebäude sollen schnelles Internet erhalten
Dieter Reiter
Das mag für viele gelten, doch sicher nicht für alle, oder?
Natürlich können nicht alle die Chancen der Digitalisierung gleichermaßen nutzen. Deshalb ist die digitale Teilhabe eine wesentliche Voraussetzung. Niemand darf abgehängt werden, dafür muss die Stadt bei ihren Digitalisierungsbestrebungen Sorge tragen. Darum braucht es nach wie vor auch den persönlichen Kontakt. Wir brauchen Austausch- und Lernorte, an denen digitale Kompetenzen vermittelt werden. Dabei setze ich auch auf das Engagement der freien Träger und Initiativen aus der Zivilgesellschaft.
Welches Defizit in Sachen Digitalisierung in München würden Sie gern lieber heute als morgen beheben?
Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir eine Art fälschungssichere Bürger-ID wünschen, mit der die Münchnerinnen und Münchner alle Services der Stadtverwaltung mit einer einzigen Anmeldung bequem und sicher von zu Hause aus nutzen könnten.
Fotografie: Dirk Bruniecki