»Wir müssen aufholen«
Die Bundesregierung hat die Klimaschutzvorgaben verschärft: Bis 2045 soll das Land klimaneutral werden. Wie das gelingen kann und welche Rolle die Digitalisierung spielen könnte: Ein Interview mit Franziska Brantner, der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Frau Brantner, dem Wirtschaftsministerium ist seit dieser Legislaturperiode auch der Klimaschutz zugeordnet. Was tut Ihr Haus, um den Klimawandel zu bekämpfen?
Oh, sehr vieles. Im Vordergrund stehen natürlich unsere intensiven Bemühungen um den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Dekarbonisierung der Industrie. Ein ganz wichtiges Instrument ist auch die Außenwirtschaftsförderung: Vor allem jene deutschen Unternehmen, die gewisse ökologische Kriterien erfüllen, erhalten Hilfen – so schaffen wir Anreize. Und natürlich ist die Verbindung zwischen Klimaschutz und Digitalisierung eine ganz zentrale, die wir stärker in den Fokus rücken wollen.
»Es wird immer sichtbarer, dass es im unternehmenseigenen Interesse liegt, umweltverträglich zu wirtschaften«
Franziska Brantner
Wie bewerten Sie denn Digitalisierung im Zusammenhang mit der Klimakrise – auch vor dem Hintergrund, dass sie selbst emissionsstark ist?
Die Digitalisierung bietet enorme Chancen für den Klimaschutz. Hier gilt es Effizienzen zu heben, zum Beispiel durch ein komplett digitalisiertes Energienetz. Die skandinavischen und baltischen Länder sind an der Stelle viel weiter, hier müssen wir aufholen. Auch digitale Zwillinge, die etwa einzelne Gebäude digital abzubilden vermögen, bieten enorme Einsparpotenziale im Hinblick auf Ressourcen: Architekt:innen und Planer:innen können mit digitalen Darstellungen physischer Gebäude nachhaltiger bauen, dieses Vorgehen gehört zu den wichtigsten Ansätzen in der Nachhaltigkeitsdebatte. Gleichzeitig, Sie sprechen es an, kostet Digitalisierung auch Energie – zum Beispiel der Betrieb und die Produktion von Rechenzentren. Es gibt positive Vorreiter, die mit grünem Strom arbeiten, effizient sind und zugleich die eigene Abwärme für die Heizung vor Ort nutzen. An ihnen müssen sich künftig alle orientieren.
Wie sieht es aus im Bereich Software und künstliche Intelligenz (KI)?
KI-Modelle und Machine Learning sind erstens unglaublich energieintensiv. Es wird wichtiger werden, kluge Lösungen zu entwickeln, die nicht bei null anfangen und auf bereits bestehenden Modellen aufbauen und so, beim Training neuer KI-Modelle, effizienter arbeiten. Zweitens: Wir brauchen mehr Transparenz zur Energieintensität. Bei einem Kühlschrank haben die Verbraucherinnen und Verbraucher heute inzwischen die Wahl: Wollen sie lieber die Variante B oder die sparsamere A+++ kaufen? Die sogenannte Energieeffizienzklasse schafft Orientierung. Eine derartige Bewertung fehlt aber bislang beim Softwarekauf, auch etwa bei Apps. Deshalb fehlt auch oft das Bewusstsein auf Verbraucherseite, dass vermeintlich immaterielle Software einen CO2-Fußabdruck hat.
Bei digitalen Endgeräten sieht es anders aus: Die Forderung, das Konzept der »Obsoleszenz« einzuhegen, wird immer stärker. Dieser Begriff bezeichnet bewusst eingebaute Fehler in Geräten, die dazu führen, dass diese nach einer gewissen Zeitdauer ersetzt werden müssen. Was tut die Politik hier?
Sie verhandelt diese Frage gerade auf EU-Ebene. Das Europäische Parlament möchte beispielsweise das Recht auf Reparatur gesetzlich verankern. Das ist eine Agenda, die maßgeblich auch von uns Grünen vorangetrieben wird. Digitale Endgeräte sind derart gestaltet, dass sie teilweise alle zwei Jahre ersetzt werden müssen. Das darf nicht so bleiben! Auch im Hinblick auf den Verbrauch an seltenen Erden können wir uns das gar nicht mehr leisten. Zudem besteht dazu ja auch gar keine Notwendigkeit. Zur jeweils nächsten Handygeneration macht nur noch die Software, maximal auch die Kamera Fortschritte. Warum lässt sich dann nicht einfach die Kamera auswechseln, oder neue Software installieren? Diese Fragen müssen wir anpacken.
Welche Rolle spielen Start-ups für die Entwicklung nachhaltiger Technologien?
Viele sind wichtige Akteure, die dabei helfen, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Die Unternehmen, die hier einen guten Beitrag leisten, werden die Weltmarktführer von morgen sein.
Trotzdem ist klimaverträgliches Wirtschaften häufig teurer als konventionelles. Gibt es neben einer CO2-Bepreisung weitere Stellschrauben?
Ja, gesetzlich vorgeschriebene Standards! Und natürlich hoffe ich auch auf freiwilliges Engagement. Denn die Krisenhaftigkeit unserer Zeit zeigt ja, dass wir achtsamer mit Ressourcen und Rohstoffen umgehen müssen. Dieses Umdenken findet heute auch in ganz vielen Unternehmen statt. Es wird immer sichtbarer, dass es im unternehmenseigenen Interesse liegt, umweltverträglich zu wirtschaften. Schauen Sie sich nur mal die brüchigen Lieferketten an: Ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen erhöht die Resilienz von Warenströmen.
Zu guter Letzt: Inwieweit können Homeoffice-Lösungen dabei helfen, die Emissionen zu reduzieren?
Unser Ziel darf nicht sein, dass wir wie im Lockdown alle zu Hause am Rechner sitzen. Trotzdem sind wir durch die Pandemie viel flexibler geworden. Und das ist gut, denn dort, wo heute Verkehrswege eingespart werden können, entsteht ein Beitrag zum Klimaschutz. Insbesondere in Kleinstädten und im ländlichen Raum müssen wir Co-Working Spaces als mögliche Lösungen in den Blick nehmen. Die ganze Thematik berührt jedoch nicht nur den Klimaschutz, sie berührt auch die Frage, wie wir künftig arbeiten und leben wollen.
Fotos: Noshe