Mission: Bunte Zukunft
Android-Chef Hiroshi Lockheimer erklärt, warum das Betriebssystem seit jeher offen und kostenlos ist – und was die Nutzer davon haben
Herr Lockheimer, wissen Ihre Kinder eigentlich, was ein Betriebssystem ist?
Meine Kinder denken manchmal, ich spiele den ganzen Tag. Also muss ich ihnen meinen Job immer wieder erklären. Ich sage dann, dass ich an dem Teil des Telefons oder eines anderen Geräts arbeite, der die Apps mit der Hardware verbindet. Die Verknüpfung zwischen dem, was man in der Hand hält, und dem, was man herunterladen kann. Natürlich verstehen sie das nicht komplett – so wie auch die meisten Erwachsenen nicht wirklich wissen, was ein Betriebssystem ist.
Dann versuchen wir mal, Android zu begreifen. Welche Grundidee steckt dahinter?
Im Prinzip ist Android aus einer Wette auf die Zukunft entstanden: aus der Überzeugung, dass die Menschen bald internetfähige Computer in ihren Hosentaschen tragen würden. Das war in der Gründungsphase, Mitte der 2000er-Jahre, alles andere als klar. Es gab noch keine Smartphones. Aber wir waren davon überzeugt, dass die Technologie kommen würde und dass viele Hersteller sie dann auch anbieten wollten. Es sollte ein Betriebssystem entstehen, das für alle zugänglich wäre. Schon damals sind wir davon ausgegangen, dass Apps kommen würden und dass deren Entwickler erpicht darauf wären, diese ohne Mehraufwand für möglichst viele Endgeräte bereitstellen zu können. So sind wir auf die Idee gekommen, verschiedenste Hersteller ihr jeweiliges Betriebssystem auf Basis eines gemeinsamen Quellcodes entwickeln zu lassen. Damit sie das System an ihre jeweiligen Bedürfnisse würden anpassen können, musste der Quellcode offen sein, also Open Source. Aber damit die Entwickler geräteübergreifend arbeiten können, haben wir einheitliche Grundregeln geschaffen.
Welche Regeln sind das zum Beispiel?
Wir nennen sie CDD und CTS, und sie sind online öffentlich zugänglich. CDD steht für »Compatibility Definition Document«. Darin steht unter anderem, wie groß ein Smartphone-Display mindestens sein muss oder höchstens sein darf oder wie viel Arbeitsspeicher das Smartphone benötigt, damit Android-Anwendungen darauf laufen. CTS steht für »Compatibility Test Suite«, eine Testumgebung, in der die Hersteller während der Entwicklung eines Geräts sicherstellen können, dass ihre Software kompatibel bleibt. Auch das klingt heute alles selbstverständlich. 2004, 2005 war diese Idee aber revolutionär. Relativ schnell ist daraus eine komplette Industrie entstanden. Gerätehersteller und Telekommunikationsanbieter hatte es schon lange gegeben, aber die Entwicklung mobiler Apps war völlig neu. Inzwischen basieren Millionen Jobs auf der Android-Plattform.
Android beweist, wie viel Wettbewerb um ein offenes Betriebssystem herum entstehen kann
Hiroshi Lockheimer
Was sind die Hauptvorteile des offenen Systems, die Android zum Beispiel von Apples geschlossenem iOS unterscheiden?
Zum einen, dass damit jeder Hersteller ganz einfach ein Betriebssystem nutzen kann. Allerdings wollen sich die einzelnen Anbieter trotzdem voneinander unterscheiden. Open Source ermöglicht das, weil sich das Betriebssystem innerhalb der Kompatibilitätsgrenzen beliebig anpassen lässt. So kann jede Marke ihr eigenes Erscheinungsbild kreieren – weshalb zum Beispiel ein Samsung-Gerät eine ganz andere Anmutung hat als ein LG-Telefon, obwohl beide auf Android basieren. Ein weiterer Vorteil von Open Source ist Transparenz. Weil der Quellcode für jedermann sichtbar ist, gibt es auch mit Blick auf die Sicherheit keine Geheimnisse. Das war von Anfang an wichtig für Partner wie die Deutsche Telekom, die großen Wert auf den Schutz ihres Netzes legen. Aufgrund der Offenheit von Android konnten sie das System selbst untersuchen und mussten sich nicht einfach nur darauf verlassen, dass es sicher ist.
Bringt ein offenes System nicht auch Nachteile mit sich?
Ehrlich gesagt fallen mir keine ein. Vielleicht ist das eine philosophische Frage. Man könnte argumentieren, dass es im Konkurrenzkampf besser ist, seinen Quellcode mit niemandem zu teilen, um sein Innovationsgeheimnis für sich zu behalten. Ich finde aber, dass gerade Android beweist, wie viel Wettbewerb um ein offenes Betriebssystem herum entstehen kann. Alle Hersteller von Android-Geräten konkurrieren ja untereinander und natürlich auch mit Anbietern geschlossener Systeme wie Apple.
Der Erfolg von Android ruft auch Skepsis hervor. Kritiker beklagen eine zu hohe Marktmacht. Was sagen Sie dazu?
Die starke Ausbreitung von Android ergibt sich aus den Vorteilen des Betriebssystems. Die Welt nutzt Mobilgeräte, weil sie so praktisch sind. Und die Tatsache, dass Android offen ist und Differenzierung erlaubt, hat es zu einer sehr attraktiven Plattform gemacht. Sie ermöglichte den Erfolg vieler Hersteller, die sonst kein Betriebssystem gehabt hätten und folglich nicht wettbewerbs- und überlebensfähig gewesen wären.
Androids große Beliebtheit macht das System auch interessant für Angreifer. Wie schützen Sie die Anwender?
Als wir Android entwickelten, lagen uns bereits die Erfahrungen der Computerbranche vor. Für einen PC brauchte man immer ein aktuelles Antiviren-Programm. Weil wir das nicht für besonders nutzerfreundlich gehalten haben, bauten wir Android von Anfang an so, dass es weniger angreifbar ist. Vom ersten Tag an gab es im Betriebssystem technische Vorkehrungen, die einzelne Apps voreinander schützen, sodass beispielsweise die eine nicht die andere ausspähen kann. Der Hauptunterschied zur PC-Industrie ist aber die zentralisierte Verteilung von Programmen über App Stores wie Google Play. Dadurch haben wir eine Beziehung zu den Entwicklern und können schädliche Anwendungen aus dem Store entfernen. Der PC-Hersteller hingegen hat keinerlei Einfluss darauf, was über das Internet oder einen Datenträger heruntergeladen wird. Angesichts der technischen Sicherungen, der Verteilmechanismen über den App Store und der großen Menge an Antiviren- und Antischadsoftware-Technologien, die wir einsetzen und die zum Teil auf künstlicher Intelligenz beruhen, sind wir vermutlich einer der weltgrößten Anbieter für IT-Sicherheit. Das weiß nur kaum jemand, weil wir uns bislang zwar um alle potenziellen Probleme gekümmert, aber kaum darüber gesprochen haben. Mit dem 2017 gestarteten Google Play Protect haben wir unserem umfassenden Sicherheitskonzept erstmals einen Namen gegeben und es öffentlich gemacht. Die Nutzer sollen wissen, dass wir extrem viel für ihre Sicherheit tun und sie Android ohne Bedenken nutzen können.
Wir glauben, dass Android bei der weiteren Gestaltung des Internets der Dinge eine wichtige Rolle spielen wird
Hiroshi Lockheimer
Aber die Nutzer müssen selbst nichts für ihren Schutz unternehmen?
Genau. Wir überwachen permanent die existierenden Apps, sodass wir schädliche Anwendungen erkennen, aus dem Store entfernen und die Kunden warnen können.
Android ist nun seit mehr als zehn Jahren auf dem Markt. Was ist seine wichtigste Errungenschaft?
Wir sind sehr stolz darauf, dass es mehr als einer Milliarde Menschen den Zugang zum Internet ermöglicht hat – vielen davon zum ersten Mal in ihrem Leben. Ich meine Menschen in Entwicklungsländern, die keinen PC besitzen und die sich dank der durch Android günstiger gewordenen Smartphones nun über wichtige Dinge informieren können, etwa wie sie sich vor Krankheiten schützen oder ihre Ernte steigern können. Das hat das Leben sehr vieler Menschen zum Positiven verändert, und wir sehen es als unsere Verantwortung, das weiter voranzutreiben.
Wie wird sich Android in Zukunft weiterentwickeln?
Ein Kollege hat kürzlich die Bildschirme gezählt, denen er jeden Tag begegnet – vom Smartphone über die Mikrowellen-Anzeige bis zu den Displays im Auto. Er kam auf über 60. Irgendwann werden all diese Bildschirme und die Geräte dahinter miteinander kommunizieren. Das kann im Alltag unglaublich nützlich sein, wenn zum Beispiel das Auto beim Einsteigen schon weiß, wohin ich fahren will, oder es vor der Ankunft schon die Heizung im Haus aktiviert. Wir glauben, dass Android bei der weiteren Gestaltung des Internets der Dinge eine wichtige Rolle spielen wird.
Fotos: Google (5), Clouds designed by Quinky / Freepik, Illustration: Irina Blok