Wie Ideen besser werden
Oder wie wir überhaupt auf welche kommen: Ein Tag mit Frederik Pferdt, dem Innovationsexperten von Google
Ein holzvertäfelter Konferenzraum mitten in Berlin. 30 Unternehmer lauschen einem Mann aus Amerika: Frederik Pferdt, gelernter Wirtschaftspädagoge, ist der Chief Innovation Evangelist bei Google. Zehntausenden seiner Kolleginnen und Kollegen hat er gezeigt, wie man Ideen entwickelt und wie man gute Ideen von schlechten Ideen unterscheidet. Er hat an der Stanford University geforscht, seine Einsichten verändern die Arbeit bei Google täglich. Jetzt reist der Vierzigjährige immer häufiger in die Welt und zeigt den Menschen, zum Beispiel hier in Berlin, wie man bessere Ideen entwickelt. Für den Anfang reicht ein gelbes Blatt Papier.
Jeder der 30 Unternehmer bekommt ein DIN-A4-großes gelbes Blatt und einen Stift gereicht und wendet sich dann einem Sitznachbarn zu. Unter Frederik Pferdts Anleitung beginnt dann ein Experiment. »Setzen Sie mit dem Stift einmal an, und zeichnen Sie auf Ihrem Papier einen Teil eines Roboters. Nach dem Absetzen geben Sie den Stift an Ihren Partner weiter, der dasselbe auf seinem Blatt macht.« So geht es los, so geht es hin und her. Kugelschreiber wandern von einem zum anderen. Stückweise entstehen Roboter auf den Blättern. »Beraten Sie nun darüber, welcher Roboter der schönere ist. Den weniger schönen werfen sie zusammengeknüllt nach vorne«, verlangt Frederik Pferdt. Ein unsicheres Auflachen geht durch die Reihen. Es ist seltsam, unter der Aufsicht eines anderen zu malen. Und dann auch noch das Ergebnis gemeinsam beurteilen? Es hilft nichts. Die 30 Workshopteilnehmer beraten, die ersten zerknüllten gelben Papiere fliegen Frederik Pferdt entgegen. »Schön«, freut sich der Innovationsexperte. »Und jetzt bekommen Sie zu zweit nur ein Blatt Papier – und zeichnen den Roboter gemeinsam. Ansetzen, absetzen, Stift weitergeben.« So sitzen sie da, die Unternehmerinnen und Abteilungsleiter, und malen jeweils zu zweit einen Roboter. Als sie fertig sind, bittet Frederik Pferdt zum Vergleich: »Welcher Roboter ist schöner? Der, den Sie alleine gemalt haben? Oder der, der gemeinsam entstanden ist?« Wieder geht ein Raunen durch den Raum, Ausdruck von Erstaunen: Der gemeinsam gezeichnete Roboter ist viel schöner. Teamarbeit, so wirkt es zumindest hier, sorgt für bessere Ergebnisse.
Das ist nur eine der Lehren, die Frederik Pferdt an diesem Tag vermittelt. Sie entstammt jahrelanger Forschungsarbeit. Google selbst hat immer wieder Studien dazu gemacht, wie Ideenentwicklung funktioniert, wie Menschen am besten zusammenarbeiten. Dieses Wissen hilft nicht nur dem Internetunternehmen aus Kalifornien. Es hilft auch den Unternehmern hier in Berlin. Es hilft allen Menschen, die Lust haben, sich mit ihren Ideen in der Welt einzubringen.
1. Sprechen Sie mit den Menschen, denen Sie helfen wollen. So gehen Sie sicher, dass Sie sich mit Ihrem Projekt wirklichen Bedürfnissen widmen
Hört man Frederik Pferdt aufmerksam zu, dann offenbaren sich noch vier weitere große Lehren, die Ideenentwicklung auszeichnen. Der erste dieser Punkte: Empathie. Es geht dabei ums Fragen und Zuhören, sagt Frederik Pferdt und hebt zu einer persönlichen Geschichte an: Vor zwei Jahren kamen innerhalb weniger Wochen Tausende Menschen aus Syrien nach Deutschland. Frederik Pferdt besuchte damals Freunde in Berlin und setzte sich am Abend mit ihnen zusammen: Was können wir tun? Gemeinsam sammelten sie Idee um Idee, es ging um Kleidung, Essen, Spielsachen, Smartphones. Als sie am nächsten Morgen in eine Unterkunft fuhren und mit den Menschen sprachen, waren sie erstaunt: Keine der Ideen ergab Sinn. »Die Menschen hatten bereits genug Kleidung«, erinnert sich Frederik Pferdt. »Was sie suchten, waren Identität und Teilhabe an dieser Stadt.« Was die Geflüchteten brauchten waren zum Beispiel Busfahrkarten, mit denen sie sich durch die Stadt bewegen können. Frederik Pferdt verharrt eine ganze Weile bei diesem Beispiel. Einerseits zeigt es, dass selbst er noch der Annahme erliegen kann, schon irgendwie zu wissen, was andere Menschen brauchen. Andererseits zeigt die Geschichte, was vernünftige Ideen auszeichnet: Sie entstehen im Gespräch mit jenen, denen sie nutzen sollen. Nur wer zuhört, wer sich in andere Menschen einfühlt, kann gute Ideen entwickeln.
2. Machen Sie andere Ideen mit der Formulierung »Ja, und …« besser. So bleiben Sie miteinander im Gespräch
Die zweite große Lehre beginnt mit den Worten Ja, und…: »Wir haben oft Angst, dass die anderen sich über unsere Vorschläge lustig machen«, sagt Frederik Pferdt. »Wir geben einander nicht die Erlaubnis, Unfertiges zu zeigen.« Ein Fehler, sagt Frederik Pferdt. Bei Google werden die Mitarbeiter geradezu aufgefordert, Mut zur Unfertigkeit zu haben. Sie sollen laut denken, ohne Angst vor Kritik. Schickt einer der Mitarbeiter ein Konzept in die Runde, sind alle angehalten, auf eine bestimmte Weise zu reagieren. »In pessimistischen Kulturen herrscht die Denkweise des Ja, aber... vor«, sagt Frederik Pferdt. »Kritik ist immer einfacher zu formulieren als Hilfestellung.« Pferdt empfiehlt deshalb den Satzbeginn Ja, und… Er verändert vieles. Liegt eine Idee auf dem Tisch, sollen andere nicht kritisieren, sondern versuchen, ihr mit dem Satz Ja, und... eine Komponente hinzuzufügen. Angenommen, ein Mensch plant einen Bücherbasar und möchte den Erlös spenden. Kritiker könnten sagen: »Gibt es schon« oder »zu aufwendig« oder »zu geringer Erlös«. Prompt wäre die Idee kaputt und der Dialog beendet. Das ändert sich, wenn eine Gruppe sich darauf einigt, nur mit einem Ja, und... zu reagieren. »Ja, und dann verkaufen wir noch Kuchen zusätzlich.« – »Ja, und wir verknüpfen den Basar mit dem Gemeindefest und erreichen mehr Menschen.« Dieses Ja, und... eröffnet einer Idee größere Wirkräume und regt den Dialog an, statt ihn zu unterbinden, sagt Frederik Pferdt.
3. Arbeiten Sie am besten in einem gemischten Team an Ihrer Idee. So entstehen für gewöhnlich die besten Lösungen
Ach, und dann die Sache mit der YouTube-App! Sie führt zur dritten Lehre. Frederik Pferdt berichtet mit einem Lächeln von seinen Entwicklerkollegen in Kalifornien. Eben hatten sie die YouTube-Anwendung für das Smartphone fertig gebaut, als sie bemerkten, dass viele Filme, die mit der App gedreht wurden, auf dem Kopf standen. Frederik Pferdt, ein Rechtshänder, nimmt sein Smartphone in die rechte Hand, den Daumen am Aufnahmeknopf. Er hält das Gerät, als wollte er filmen. Dann nimmt er das Telefon in die linke Hand, dreht es dabei und hat den linken Daumen am Aufnahmeknopf. »Etwa 15 Prozent der Aufnahmen standen auf dem Kopf«, sagt Pferdt. Das ist etwa die Prozentzahl an Linkshändern in unserer Gesellschaft. Was war geschehen? Die Entwickler waren unter sich geblieben: Es hatten nur Rechtshänder an dem Projekt gearbeitet. »Wenn Teams zusammen arbeiten, können bessere Dinge entstehen. Wenn gemischte Teams zusammen denken, können noch viel bessere Dinge entstehen«, sagt Frederik Pferdt.
4. Probieren Sie Ihre Idee im Kleinen aus. So erkennen Sie schon vorab viele Fragen und Problemstellungen
Die vierte große Lehre ist die dringende Anregung zum Ausprobieren. Frederik Pferdt spricht vom »Prototyp« einer Idee, den man erstellen solle. »Mit einem Prototypen lernen Sie schnell, was für Ihre Idee wichtig ist.« Der Mensch mit dem Bücherbasar könnte seinen Küchentisch freiräumen und mit eigenen Büchern einen Basar simulieren – und dann Reaktionen von Familie, Freunden oder Nachbarn einholen. Wie sollte man die Bücher präsentieren? Wie sollte man sie sortieren? Wie viel darf ein Buch kosten? Schon im Kleinen, am Prototypen, lassen sich die entscheidenden Fragen verstehen und klären, sagt Frederik Pferdt. Bald darauf schließt der Ideenexperte seinen Berliner Workshop. Die 30 Teilnehmer entlässt er mit zwei Aufforderungen und einer Gewissheit: »Haben Sie Vertrauen in Ihre Ideen. Gehen Sie hinaus, und machen Sie die Welt besser. Sie haben alles, was Sie dazu benötigen.«
Fotos: Andreas Lux, Illustrationen: Francesco Ciccolella