Forschung für Berlin
Künstliche Intelligenz und andere Technologien spielen eine wachsende Rolle in den Forschungs- und Bildungseinrichtungen Berlins. Eine Reise zu den digitalen Projekten in der Wissenschaftsstadt
Fahrerlos durch Charlottenburg
Der Kreisverkehr am Ernst-Reuter-Platz ist eine der verkehrsreichsten und gefährlichsten Kreuzungen Berlins. Ausgerechnet hier sind seit dem Frühjahr regelmäßig Autos unterwegs, in denen der Fahrer die Hände nicht am Lenkrad hat. Der Grund: Forscher am DAI-Labor der Technischen Universität Berlin (TU) haben unter dem Namen »Diginet-PS« – PS steht für Protokollstrecke – einen Testabschnitt für autonomes Fahren errichtet. Er reicht vom Kreisverkehr über die Straße des 17. Juni bis zum Brandenburger Tor.
Das TU-Team um den Informatik-Professor Sahin Albayrak hat dafür eine intelligente Umgebung geschaffen. »Die Digitalisierung der Straße beinhaltet Sensoren für die Erfassung von Gefahrensituationen, der Verkehrslage, freier Parkplätze, des Fahrbahnzustands und der Luftqualität«, sagt Albayrak. »Außerdem gehören dazu sogenannte Roadside Units für die Kommunikation mit den Fahrzeugen und Ampeln sowie das Dimmen der Straßenbeleuchtung.« Auch die selbstfahrenden Wagen sind mit Kameras und Laserscannern ausgestattet und erkennen Fußgänger, Radfahrer und andere Autos. Im Zusammenspiel soll es die vielfältige Technik ermöglichen, die aktuelle Situation zu erfassen und daraus ein Bild zu generieren sowie zukünftige Situationen vorauszusagen. »Dabei kommen Verfahren der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens zum Einsatz«, sagt Sahin Albayrak.
Das Hochschul-Prestigeprojekt festigt den Ruf Berlins als digitales Zentrum – auch im akademischen Bereich. Bereits 2013 wurden an der Freien Universität Berlin (FU) die ersten Onlinevorlesungen gehalten. Technische Ausstattung und Prestigeprojekte allerdings reichen längst nicht aus, damit Hochschulen mit der Digitalisierung Schritt halten können. Einer Studie des Stifterverbands der Wirtschaft für die Wissenschaft und des Centrums für Hochschulentwicklung zufolge werden Strategien für Digitalisierung in Forschung und Lehre, Themen wie Big Data und digitale Instrumente, etwa Fernüberwachung von Patienten in der Medizin, bislang kaum in der Lehre thematisiert. Bis dahin könnte es auch noch etwas dauern: Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) verkündete im vergangenen Herbst, dass der Bund ab 2020 die Digitalisierung der Hochschulen, Onlinelernangebote und digitale Inhalte fördern will.
Elektronische Uni-Prüfungen
An den Berliner Unis tut sich derweil trotzdem etwas. Das neue Lehrprogramm »Data Literacy« der TU etwa soll Studierende auf eine digitalisierte Lebens- und Arbeitswelt vorbereiten: Studierende aller Fächer lernen, wie man Daten erfasst und aufbereitet. Zudem teilen Studierende dort Daten und Lernmaterialien über die Cloud. An der FU finden seit 2013 elektronische Prüfungen in 190 Fächern statt, und sowohl die TU und FU als auch die Humboldt-Universität bieten sogenannte Moocs (Massive Open Online Courses) an, ganze Onlinekurse auf Universitätsniveau.
An einer echten, einheitlichen Digitalisierungsstrategie arbeiten die Berliner Hochschulen zwar noch, doch vielversprechende Kooperationen gibt es bereits. Für das Berliner Hochschulprogramm »DiGiTal – Digitalisierung: Gestaltung und Transformation« zur Förderung von Frauen in der Digitalisierungsforschung arbeiten sogar 13 Berliner Hochschulen zusammen. Am Weizenbaum Institut, benannt nach einem Skeptiker des digitalen Fortschritts, erforschen seit 2017 100 Wissenschaftler die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft. Sie vertreten die vier Berliner Universitäten sowie die Universität Potsdam, das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Wir wollen durch die Möglichkeiten der Blockchain das Vertrauen der Bürger stärken
Prof. Jochen Rabe
Ebenfalls 2017 wurde das Einstein Center Digital Future (ECDF) eröffnet, an dem die UdK, die HU sowie die FU mit ihrer gemeinsamen medizinischen Fakultät Charité und weiteren Hochschulen digitale Strukturen in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft erforschen und fördern. Unterstützt wird das ECDF durch das Land Berlin und Unternehmen. Zu den Forschungsbereichen gehören digitale Bildung, Bioinformatik, digitale Diagnostik sowie das Internet der Dinge. Aktuell zeigen dort zwei Projekte, wie Digitalisierung konkret den Alltag verbessern kann: Mit der Smartphone-App SimRa, einer Abkürzung für Sicherheit im Radverkehr, erfassen die Forscher des ECDF Beinahe-Unfälle, um Gefahrenhäufungen zu lokalisieren und in Zukunft besser einzudämmen. Die App kann jeder kostenlos nutzen und mit seinen Daten zum Forschungsprojekt beitragen. »Im März sind wir mit der Android-Version gestartet«, sagt David Bermbach, Juniorprofessor an der TU Berlin, der das Fachgebiet Mobile Cloud Computing am ECDF leitet. »Bislang haben wir rund 50 Nutzer und etwa 500 Fahrten ausgewertet, brauchen aber noch deutlich mehr aktive Nutzer, um aussagekräftige Ergebnisse gewinnen zu können.«
Designlabor für Raumgestaltung
Das Projekt »B_B_Blockchain« wiederum nutzt die Technologie einer verteilten, dezentralen Datenbank für eine bessere Bürgerbeteiligung in der Stadtentwicklung. »In einem Pilotprojekt entwickeln wir eine digitale Schnittstelle für eine Wohnbaugesellschaft, die vollkommen transparent und stets aktuell ist, was Manipulation fast unmöglich macht. So wollen wir durch die Möglichkeiten der Blockchain das Vertrauen stärken«, sagt Jochen Rabe, Professor für Urbane Resilienz und Digitalisierung am ECDF. Die Schnittstelle dient als Plattform für den Informationsaustausch zwischen Wohnungsbaugesellschaft, Stadt und Bürgern. Sie soll Wohnbauprojekte transparenter machen und es den Bürgern erleichtern, sich in die Planung einzubringen.
Im neu eröffneten Designlabor Berlin Open Lab entwickeln Künstler, Gestalter und Wissenschaftler der UdK und der TU Berlin gemeinsam digital gestützte Techniken der Raumgestaltung. »Unter dem Dach der Shedhallen werden wir künftig zeigen, wie durch das produktive Zusammenspiel von Kunst, Gestaltung, Technik und Wissenschaft fortschrittliches und innovatives Entwerfen funktionieren kann – mit Vorbildcharakter für Kooperationen ähnlicher Art«, erklärt UdK-Präsident Prof. Martin Rennert.
Vorbildcharakter hat auch die Kiron University: Weil Flüchtlinge wegen fehlender Papiere oft von der Hochschulbildung ausgeschlossen sind, gründeten Studierende aus Berlin 2014 eine Art Online-Uni für Flüchtlinge. Dort werden kostenlose englischsprachige Uni-Kurse angeboten, die in Kombination mit Semestern an Partnerunis zum Abschluss führen. Finanziert wird die Kiron University via Crowdfunding und Sponsoren – mit Erfolg: 2017 wechselten die ersten Absolventen an Partnerunis in Deutschland und anderen Ländern.
Fotografie: Felix Brüggemann