Gemeinsame Innovation
Bei diesem Projekt haben beide Seiten voneinander gelernt: Deutschlands größter Onlinehändler OTTO und Google entwickelten ein Programm, das den Einkäufer:innen und den Kund:innen gleichermaßen nützt. Wie es dazu kam? Ein Blick hinter die Kulissen
Am 4. Dezember 2018 ging für den OTTO-Konzern eine Ära zu Ende. An diesem Tag erschien der letzte OTTO-Katalog, der 68 Jahre lang Modetrends in deutsche Haushalte gebracht hatte. Für das Hamburger Unternehmen war der Abschied vom analogen Geschäft zwar emotional schwierig, strategisch aber konsequent: Seit Jahren wandelt sich OTTO vom konventionellen Versandhändler zur multimedialen Onlineplattform. Die Anstrengungen und Investitionen zahlen sich aus: Im Corona-Jahr 2020, das vielen anderen Konzernen stark zusetzte, stieg der Umsatz von OTTO um 30 Prozent. Die Zahl der Online-Kund:innen wuchs im gleichen Umfang von sieben auf zehn Millionen Nutzer:innen.
Die Entwicklung von OTTO zum E-Commerce-Spezialisten begann bereits am 5. September 1995. Damals ging das Unternehmen mit der ersten Website online und bot Informationen rund um das Unternehmen sowie Bestellmöglichkeiten: Kundinnen und Kunden konnten per E-Mail weltweit Artikel ordern und an eine Adresse in Deutschland liefern lassen. Seither investiert das Unternehmen in neue Technologien und wird Jahr um Jahr digitaler. Heute können sich Kund:innen zum Beispiel per Sprachsteuerung mithilfe von Smart Speakern wie Google Nest oder Amazon Echo über den Lieferstatus einer Bestellung informieren oder nach Sonderangeboten fragen. OTTO entwickelte aber auch Apps wie »alike«, mit deren Hilfe Kund:innen Möbel fotografieren können, die ihnen gefallen. Ein Programm gleicht die Bilder mit dem OTTO-Sortiment ab und macht entsprechende Produktvorschläge.
»Wie machen wir den Endkunden glücklich? Wie können wir dafür sorgen, dass er findet, was er wirklich sucht? Diese Fragen treiben uns an«, sagt Melanie Schlegel, Head of Sales/Retail Media bei OTTO. Ein wichtiger Partner bei der Suche nach Antworten ist Google. Vor allem im Marketing arbeiten beide Unternehmen seit Jahren eng zusammen. Google unterstützt OTTO zum Beispiel beim Suchmaschinen-Marketing, gemeinsam trieben die Verantwortlichen zudem YouTube-Kampagnen voran, mit denen jüngere Zielgruppen erreicht wurden. »Wir sind eng und erfolgreich mit Google unterwegs«, sagt Melanie Schlegel. »Das gilt für fast alle Bereiche bei uns im Haus.«
Wie viele andere Unternehmen nutzt OTTO die Google Suche als Marketingkanal und bewirbt dort eigene Angebote. Wer etwa »Hometrainer« in das Suchfeld eingibt, soll möglichst viele Produkte der OTTO-Plattform finden. Mit der Analyse der anonymisierten Suchanfragen lässt sich aber auch herausfinden, was Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt interessiert. »Wir erkannten, dass wir über Google einen tiefen Einblick in das bekommen, was die Endkundin und den Endkunden beschäftigt«, sagt Melanie Schlegel. »Wir überlegten, wie wir dieses Wissen auch anderen Kolleg:innen aus dem Einkauf zur Verfügung stellen können.«
Wie machen wir den Endkunden glücklich? Wie können wir dafür sorgen, dass er findet, was er wirklich sucht
Melanie Schlegel, Head of Sale/Retail Media Otto
Das OTTO-Team ging auf Google zu und definierte ein Projekt mit folgenden Fragestellungen: Welche Informationen helfen uns? Lassen sie sich für unsere Bedürfnisse verfeinern? Wie bereiten wir die Informationen so auf, dass sie Kolleg:innen vom Einkauf nutzen können? »Das war ein intensiver Prozess«, erinnert sich Tim Hausweiler, der das Projekt von Google-Seite begleitete. Das Ergebnis der gemeinsamen Projektarbeit ist ein Programm namens MANGO. Die Abkürzung steht für »Merchant-Center Analytics with Google« und beschreibt ein Programm, das die Einkäufer:innen von OTTO bei ihrer täglichen Arbeit unterstützt.
Im Falle von OTTO wertet MANGO drei große Datensätze aus: Die anonymisierten Informationen aus der Google Suche geben Aufschluss darüber, welche Produkte aktuell besonders beliebt sind. Die Daten des bestehenden OTTO-Sortiments zeigen, ob OTTO diese Nachfrage bedienen kann und wo nachgebessert werden muss. Zudem werden OTTOs Preise mit denen anderer Anbieter verglichen, damit MANGO auswerten kann, ob und zu welchem Preis die Konkurrenz die entsprechenden Artikel bereits anbietet. MANGO analysiert diese drei großen Datensätze also nicht getrennt, sondern bringt sie in einen Kontext.
»Vor MANGO haben wir Bedarfe im Einkauf über unsere langjährigen Kontakte zum Markt, zu Händler:innen und Partner:innen eruiert«, sagt dazu Christiane van Heyst, Senior Buyer Home & Living bei OTTO. »MANGO bietet uns zusätzlich zu diesen qualitativen Ergebnissen ganz neue Erkenntnisse durch quantitative Daten: Wir erkennen nicht länger nur, dass Kund:innen sich für Sofas interessieren, sondern etwa auch, dass bei 3-Sitzern besonders graue Stoffe gefragt sind. MANGO macht genau diese Detailtiefe möglich.«
Wir erkennen nicht länger nur, dass Kund:innen sich für Sofas interessieren, sondern etwa auch, dass bei 3-Sitzern besonders graue Stoffe gefragt sind. MANGO macht genau diese Detailtiefe möglich
Christiane van Heyst, Senior Buyer Home & Living Otto
Für die OTTO-Mitarbeiter:innen werden diese komplexen Informationen jede Woche in übersichtlichen Ranglisten ausgespielt, mit denen sie nicht nur sehen, welche Marken und Artikel einer Produktsparte besonders gefragt sind, sondern auch, mit wie viel Prozent des Gesamtangebots diese Marken bereits bei OTTO zu finden sind. Während der Corona-Lockdowns stieg beispielsweise die Nachfrage nach Haarschneidemaschinen rasant an. MANGO signalisierte den Trend, OTTO überprüfte die eigene Produktpalette und nahm die entsprechenden Artikel ins Sortiment und bediente schnell die Wünsche der Kund:innen.
»Man muss neue Artikel oder Marken nicht monatelang testen, um zu wissen, wie beliebt sie bei den Kund:innen sind«, sagt Tim Hausweiler. »Die Einkäuferinnen und Einkäufer können mit MANGO Marken besser einschätzen und bleiben nicht auf den Artikeln sitzen.«
Mittlerweile treibt OTTO die Digitalisierung nicht nur im eigenen Haus voran. Auch Lieferanten werden gefördert und beraten, weil auf der Onlineplattform des Hauses auch Dritte ihre Produkte vertreiben sollen. Das Wissen, das durch Tools wie MANGO entsteht, aber auch die Erfahrungen aus dem Onlinemarketing mit Google sind ein wichtiges Argument, um Marktplatzpartner an Bord zu holen. »MANGO ermöglicht es uns, Lieferant:innen und Endkund:innen zusammenzubringen«, sagt Melanie Schlegel. »Wir wählen die Produkte aus, die nachgefragt werden, und machen sie auf unserer Plattform auffindbar.«
Christiane van Heyst zum Beispiel war schon geraume Zeit ein bereits gelisteter Lieferant mit besonders attraktiven und beliebten Sofas aufgefallen, der sehr gerne in seine Marke investieren wollte. Sein Label war bis dahin online kaum sichtbar. »Wir haben ihn gezielt beraten und überzeugen können, ordentlich Budget in Onlinemarketing zu investieren«, sagt van Heyst. »Mittlerweile wird er bei MANGO auf Platz sieben der beliebtesten Brands für Sofas gerankt, noch vor anderer namhafter Konkurrenz aus der Branche. Das ist ein fantastisches Ergebnis.«
Fotos: Charlotte Schreiber