Glänzende Idee
Wie lässt sich die Produktion von Schmuck personalisieren und zugleich digitalisieren? Die Gründerinnen von Amoonìc machen ihre Kunden zu Designern: Ein Konfigurator hilft beim Gestalten persönlicher Ringe oder Ketten.
Wer die Räumlichkeiten von Amoonìc betritt, nimmt zuerst eine gehörige Dosis guter alter Zeit wahr. Von der Decke hängt eine schwere Industrielampe, auf den grauen Metallspinden an der Wand steht ein dunkles Röhrenradio aus den Fünfzigerjahren und gleich daneben mahnt ein gelbes Blechschild: „Der Aufenthalt im Gefahrenbereich ist verboten.“ Die Objekte dienen der Dekoration. Nicht jedoch der große, massivhölzerne Goldschmiedetisch mit seinen Einkerbungen und Absplitterungen: Goldschmiedemeisterin Sabine Hertel sitzt an der Werkbank und bearbeitet mit flackernder Lötflamme einen Ring, als ihr Sabine Linz Papiere auf den Tisch legt.
Sabine Linz ist eine der Gründerinnen von Amoonìc. Auf den Formularen, die sie gerade ausgedruckt hat, haben Kunden ihre Wünsche verzeichnet. Die Blätter sind sozusagen die Rezepte für die Arbeit der Goldschmiede wie Sabine Hertel. Sie bebildern die Idee hinter Sabine Linz’ Unternehmen.
Der Name Amoonìc ist ein Kunstwort, eine Verschmelzung der Begriffe amore und unique. Aus Sicht von Sabine Linz und ihrer Mitgründerin Olga Dick beschreibt er „die Liebe zum Einzigartigen“. Genauer gesagt geht es um individuell hergestellten Schmuck. Seit 2011 fertigt Amoonìc Echtschmuck nach Kundenwunsch. Wer die Website www.amoonic.de besucht, findet mehrere Hundert Designs von Ringen, Ketten und Ohrringen, die sich mit einem Konfigurator zu vielen Tausend verschiedenen Varianten verändern lassen. Die aufwendigeren davon entstehen auf den hauseigenen Goldschmiedetischen.
„Uns verband sofort die große Lust auf Selbstständigkeit“, erinnert sich Sabine Linz an die erste Begegnung mit ihrer Mitgründerin Olga Dick. Sie nimmt in der Mitarbeiterküche Platz und nippt an einem Glas Mineralwasser. Erst vor Kurzem hat Amoonìc die neuen, hellen Räume bezogen. In der Nürnberger Südstadt wurde es eng.
Linz und Dick sind Mitte 20, als sie sich bei einem Seminar kennenlernen. Beide arbeiten damals bei Siemens – Linz in der Marketing- und Kommunikationsabteilung, Dick im SEO-Marketing. Die Chemie zwischen den studierten Betriebswirtinnen stimmte, und bald fangen sie an, sich regelmäßig zu treffen und das Thema Gründung strategisch anzugehen. Sie sammeln Ideen für Unternehmen, die sie später mit einem Punktesystem bewerten. Es gewinnt das Konzept, individualisierten Schmuck im Internet zu verkaufen.
Über Wochen recherchieren Dick und Linz mit allen verfügbaren Werkzeugen den Markt. Sie nutzen das Tool Google Trends und analysieren Begriffe, mit denen in Deutschland nach Schmuck gesucht wird. Sie vollziehen nach, welche Worte in Verbindung mit bestimmten Keywords auftauchen. So sehen sie etwa, dass das Wort „Schmuck“ häufig kombiniert mit Begriffen wie „Verlobungsringe“ und „welche Hand“ gesucht wird. „Wir konnten am Ende nachvollziehen, woher der Hauptumsatz im Schmuckgeschäft kommt“, sagt Olga Dick. Vor allem Verlobungsringe werden häufig online gekauft, sie bilden bis heute das Kernstück im Amoonìc-Sortiment.
Den Gründerinnen war von Beginn an bewusst, dass sich ihr Vorhaben nicht ohne die Hilfe von Experten umsetzen lässt. Auf der Suche nach einem Produktionsleiter lernten sie Andreas Schiffmann kennen. „Die beiden haben nach einem meiner Goldschmiedekurse für Trauringe gefragt und mich eingehend mit Materialfragen gelöchert“, erinnert sich der Goldschmied. Er lächelt und schüttelt den Kopf, wenn er an das Kennenlernen denkt. Schiffmann wunderte sich damals über das erstaunlich tiefgehende Interesse der Frauen. Erst bei einem zweiten Treffen stellten sie ihm das Konzept von Amoonìc vor. Es hat Schiffmanns Leben verändert.
Bis zu jenem Zeitpunkt führte Andreas Schiffmann ein Juweliergeschäft, das sein Vater 1966 gegründet hatte. Für traditionelle Einzelhändler wie ihn wurde die Situation immer schwieriger, die Kaufkraft in dem einstigen Einkaufsviertel in der Nürnberger Südstadt schwand. Olga Dick und Sabine Linz kamen deshalb wie gerufen: Andreas Schiffmann war offen für Neues. Schon damals sticht sein Geschäft online hervor. Er bietet Ringschmiedekurse an und in den Ergebnissen der Google-Suche findet sich Schiffmanns Betrieb weit vorn. Vor allem aber ist er den Gründerinnen sympathisch. Ohne Umschweife versuchen sie, ihn als Gesellschafter zu gewinnen. „Er hat sofort Ja gesagt“, erinnert sich Sabine Linz.
Andreas Schiffmann hat diese Entscheidung nie bereut. Amoonìc entwickelt sich von Beginn an gut: Das Unternehmen gewinnt renommierte Gründerpreise, erwirtschaftet einen Millionenumsatz und ist zuletzt auch räumlich gewachsen. Die neue, 650 Quadratmeter umfassende Dependance im Westen Nürnbergs gehörte einst zu einer Bonbonfabrik. Später wurden hier die Druckvorlagen für den „Quelle“-Katalog gesetzt. Heute sitzen in den frisch renovierten und offenen Räumen traditionelles Handwerk und smarte IT in Rufdistanz. Wenn sich Andreas Schiffmann streckt, hat er zum Beispiel gleich Michael Niqué im Blick, den vierten Gesellschafter des Unternehmens. Auch der IT-Spezialist ist von Anfang an dabei. Er entwickelte den Schmuckkonfigurator, das Herz von Amoonìc.
„Technisch gesehen war und ist die enorme Variantenvielfalt die größte Herausforderung“, erklärt Niqué. Mit dem Laptop auf dem Schoß wippt er auf einer Schaukel im langen Gang zwischen Werkstatt und Küche und tüftelt am Relaunch des Online-Shops. Weil es zu jeder der vielen Tausend konfigurierbaren Ring-, Ketten- oder Ohrringvarianten auch Fotos geben muss, umfasst seine Bilddatenbank mehrere Hunderttausend Produktbilder. Niqué musste sich nicht nur überlegen, wie er die schiere Datenmenge so komprimiert, dass die Website leistungsfähig bleibt. Er schrieb auch ein Skript, mit dessen Hilfe ein Rendering-Programm vollautomatisch fotorealistische Darstellungen zu jeder wählbaren Kombination aus Steinen, Metallen, Formen und Verpackungen generiert.
Diese Technik bildet, gepaart mit der Individualisierungsidee und handwerklicher Qualität, die Basis für Amoonìcs Erfolg auf dem hart umkämpften Schmuckmarkt. Das schnelle und stetige Wachstum des Start-ups wiederum hat viel mit Online-Marketing zu tun. Einen der wichtigsten Meilensteine erreichte die Firma laut Sabine Linz nach fünf Jahren: „Da lagen wir bei der Google-Suche nach Verlobungsringen unter den ersten vier Treffern.“ Linz führt diese Leistung auf die SEO-Strategie nach dem sogenannten „Long-Tail-Ansatz“ zurück: „Weil die Konkurrenz bei Überbegriffen wie ‚Schmuck’ uferlos ist, haben wir uns auf lange, spezifische Suchbegriffreihen wie ‚Verlobungsring Weißgold Saphir’ konzentriert.“ Am nächsten Ziel arbeiten die Schmuckmacher bereits: Amoonìc möchte auch bei den Treffern in der Google-Bildersuche ganz vorne zu finden sein.
Die Informationen helfen uns, die Seite permanent zu verbessern und mehr für unsere Kunden zu tun
Sabine Linz Gründerin
Ähnlich viel Energie investiert Amoonìc, um den Wünschen von Schmuckliebhabern so nah wie möglich zu kommen. Fast täglich analysieren Sabine Linz und ihre Kollegen mit Google Analytics das Besucherverhalten auf der Website und stimmen das Marketing darauf ab. „Die Informationen helfen uns, die Seite permanent zu verbessern und mehr für unsere Kunden zu tun“, sagt Linz. Wenn eine Produktseite sehr oft aufgerufen wird, gestaltet sie Amoonìc noch nutzerfreundlicher und informativer. Wenn Besucher einer bestimmten Altersklasse häufig nach speziellen Produkten suchen, kreiert Amoonìc Landing Pages und Google Ads, die diese Gruppe ganz gezielt ansprechen. Im Idealfall tragen all diese Hilfsmittel dazu bei, das Shopping-Erlebnis emotionaler zu machen. Denn das, so Sabine Linz, sei Amoonìc extrem wichtig. Jeder Bestellung liegen etwa ein handgeschriebenes Zertifikat und ein Gruß des Goldschmieds bei. Zukünftig sollen die Kunden auf der Website noch mehr über jeden Herstellungsschritt ihres persönlichen Schmuckstücks erfahren. Auf Wunsch können sie es dann sogar in der Manufaktur abholen – und selbst in die Werkstatt schauen, in der traditionelles Handwerk und Digitalisierung zusammenfinden.
Fotografie: Conny Mirbach