Die Bilder der Welt
Amit Sood leitet das Google Cultural Institute und brachte mit »Google Arts & Culture« mehr als 1200 Museen online. Das hat ihn verändert
Herr Sood, in Ihrer Abwesenheitsnotiz verweisen Sie auf Kunstwerke aus »Google Arts & Culture«. Ich habe mehrere Links angeklickt und mich fast eine Stunde auf der Website verloren.
Das war auch meine Absicht!
Soll man sich beim Entdecken der Seite vom Zufall leiten lassen?
Für ein E-Commerce-Produkt wünscht man sich eine strukturierte Reise des Nutzers, er soll so schnell wie möglich zur Kasse gehen. Nachrichtenanbieter wollen ihren Lesern schnell die wichtigsten Nachrichten nahebringen. Wir aber wünschen uns, dass sich unsere Nutzer verlieren.
Haben Sie das Projekt 2013 mit diesem Ansatz gestartet?
Beim Start wollten wir einfach Kunstmuseen online abbilden. Schnell wurde uns klar, dass es nicht bei der Malerei bleiben kann.
Folgen Sie einem inhaltlichen Muster?
Wir sind sehr flexibel mit dem Inhalt. Wenn ein Museum kommt und fragt, ob wir eine Geschichte über die Jeju-Frauen in Korea aufnehmen möchten, die seit Hunderten von Jahren im Ozean nach Meeresfrüchten tauchen, dann sage ich: Warum nicht? Wir sagen niemandem, was Kultur ist. Das machen die Kuratoren, Archivare und Museumsleiter.
Was unterscheidet die Website von echten Museen?
Wir haben kein Interesse, die Realität der Museen eins zu eins ins Internet zu bringen. In der physischen Welt gibt es Annahmen darüber, welcher Künstler besonders wichtig, welches Werk besonders wertvoll ist. Auf unserer Plattform existieren alle Werke gleichwertig nebeneinander, van Gogh neben einem indischen Künstler aus dem 18. Jahrhundert, den vielleicht niemand kennt.
Wie interessiert man Menschen für Kulturgüter?
Immer mehr Ausstellungen versuchen sich an einer Erzählung und einer Verknüpfung mit dem, was gerade in der Gesellschaft geschieht. Das tun wir auch. Wir wollen den Menschen wieder mehr Gefühl für die Vergangenheit vermitteln. Der Brexit wird mich auf eine andere Weise interessieren, wenn ich verstehe, wie Europa gegründet wurde. Wenn wir wissen, woher wir kommen, haben wir eine andere Perspektive auf die Welt.
Auf unserer Plattform existieren alle Werke gleichwertig nebeneinander
Amit Sood
Bewegt Ihr Projekt mehr Menschen dazu, sich für Hochkultur zu interessieren?
Unbedingt. Am liebsten ist es mir, wenn Kunst Teil des Alltags wird. Es gibt eine Erweiterung des Browsers Chrome, sie heißt auch »Google Arts & Culture«: Immer wenn ich am Computer ein neues Fenster öffne, erscheint ein Kunstwerk aus unserer Datenbank. Über 200 000 Menschen haben sich die Erweiterung installiert, ohne dass wir nur einmal dafür Werbung gemacht hätten.
Ein schöner Überraschungseffekt.
Niemand schiebt Sie zur Kunst, die Kunst zieht Sie an! Mitten am Tag gibt es eine Ladung frische Luft für den Kopf.
Ändert Ihre Arbeit die Arbeit von Kuratoren und Museumsbeauftragten?
Vor einigen Jahren, als ich die ersten Museumsmacher bat, hochaufgelöste Bilder ihrer Werke online zu stellen, sagte man mir: Das ist absurd! Inzwischen hat das Amsterdamer Rijksmuseum seine Sammlung geöffnet. Vor Kurzem hat das Metropolitan Museum of Art sein komplettes Archiv online gestellt. Und wenn das Met das macht, werden viele folgen.
Ziehen Sie den Museen Besucher ab oder bringen Sie neue hinzu?
Das kann ich so genau nicht sagen. Aber wenn man sich die Zahlen über alle Museen und die ganze Welt hinweg anschaut, kann man sagen: Das vergangene Jahr war eines der besucherstärksten Jahre in der Geschichte. Menschen werden immer in Museen gehen, sie wollen das echte Ding sehen. Es ist ein anderes Erlebnis, einen Kunstgegenstand in Raum und Zeit zu erfahren, am Herkunftsort. Menschen lieben es, wenn Experten die Werke live erklären.
Welchen Einfluss hat das Projekt auf Ihr Leben genommen?
Ich bin in Indien aufgewachsen und folgte dem dort üblichen Erfolgsmuster: Nach Amerika gehen, Wirtschaft studieren, in großen Unternehmen arbeiten. Bei Google habe ich unter anderem an Maps und Android gearbeitet. »Google Arts & Culture« hat mir Inhalte nahegebracht, denen ich als Kind nie ausgesetzt war. Die Wirkung kann ich einfach beschreiben: Ich bin ein glücklicher Mensch.
Foto: Google, Screenshot: Google Arts & Culture