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Den Ärzten helfen

Schon als Schüler nutzte Abu Qader die Softwaresammlung TensorFlow, um Tumore aufzuspüren. Heute beschäftigt sich der 19-Jährige beruflich mit maschinellem Lernen

Der Mann, der die Medizin umkrempeln will, sitzt in einem kleinen Büro am Münchner Hauptbahnhof und redet über Obst. »Maschinen lernen durch endlose Wiederholung«, sagt er. »Wenn man will, dass sie einen grünen Apfel erkennen, zeigt man ihnen eben immer wieder einen grünen Apfel – und dazwischen eine Orange oder einen roten Apfel, zur Abgrenzung.« Abu Qader macht eine kurze Pause und lässt seine Worte wirken. Der 19-jährige US-Amerikaner ist daran gewöhnt, mit einfachen Sätzen komplizierte Dinge zu erklären. Schließlich sind Themen wie maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz nicht für jeden leicht zu verstehen.

Qader beschäftigt sich schon seit seinem 14. Lebensjahr damit. Für ein Schulprojekt ging er der Frage nach, wie man medizinische Versorgungsstrukturen verbessern könnte. Damals war seine Großmutter gerade an Krebs gestorben, und er war mit seinen Eltern von einer Reise nach Afghanistan zurückgekehrt. Er hatte den Kopf voller Eindrücke und entwickelte den Wunsch, etwas gegen das schlechte Gesundheitssystem in Entwicklungsländern zu tun. »Eigentlich eine Nummer zu groß für ein Schulprojekt, aber ich war total fixiert auf diese Idee«, erinnert sich Abu. An einem stillen Nachmittag in der Schule googelte er »Machine Learning« und verschlang alles, was er dazu finden konnte. Es war der Anfang von etwas Großem. »Probleme durch Technik zu lösen, ist einfach mein Ding«, sagt Abu Qader.

Probleme durch Technik zu lösen, ist einfach mein Ding

Abu Qader Entwickler und Gründer

Der 19-Jährige nutzt heute TensorFlow, eine Softwarebibliothek für maschinelles Lernen, die von Google entwickelt und frei verfügbar gemacht wurde. Er füttert das System mit Mammografiebildern und Diagnosen. Anhand der Daten lernt der Computer zu erkennen, ob es sich bei Gewebeveränderungen tatsächlich um einen Tumor handelt und ob dieser gut- oder bösartig ist. »Bei Brustkrebs liegt der Anteil der Fehldiagnosen durch Nutzung herkömmlicher Diagnosewerkzeuge gegenwärtig bei 30 Prozent«, sagt Abu Qader. »Das bedeutet, dass viele Patientinnen unnötig behandelt werden oder keine Therapie bekommen, obwohl sie eine bräuchten.«

Der Anteil ist so groß, weil die Bilder aus dem Körperinneren bisher nur von Menschen interpretiert werden. Aber Menschen machen Fehler. Sie ermüden, und ihr Urteilsvermögen hängt von Kleinigkeiten ab: Gab es am Morgen Kaffee? Sind sie durch private Probleme abgelenkt? Radiologen analysieren täglich Hunderte Bilder und verlassen sich ausschließlich auf ihre Erfahrung.

Abu Qader, links im Bild, mit Professor Wieland Sommer von Smart Radiology, einem Digital Health Start-up in München.

»Diese Vorgehensweise ist fehleranfällig, denn gerade bei sehr speziellen und repetitiven Aufgaben sind Maschinen Menschen haushoch überlegen«, sagt Abu Qader. Nicht nur, dass Computer jedes Bild mit eiserner Sorgfalt analysieren. Sie vergleichen es auch mit allen Daten, die sie je erlernt haben, und haben so Zugriff auf gebündeltes Expertenwissen. Künstliche Intelligenz fungiert an der Stelle wie ein Werkzeug, als diagnostisches Hilfsmittel, vergleichbar mit Ultraschallgeräten oder Magnetresonanztomografen. In Tests lag Abu Qaders Methode bereits zu weit mehr als 90 Prozent richtig, und sie lernt immer weiter hinzu. »Ich will, dass sich Patienten auf die Diagnosen noch besser verlassen können. Gerade auch in Entwicklungsländern, wo es oft an Fachärzten mangelt.«

Je mehr Daten er einspeist, desto präziser wird die Diagnose

Je mehr Daten Abu einspeist, desto präziser wird die Diagnose, weil die Software ihr Wissen aus Erfahrung nimmt. Doch die Datenbasis zu beschaffen, ist gar nicht so leicht. Jedes Land, jedes Krankenhaus, jeder Arzt kocht sein eigenes Süppchen. Daten werden nicht systematisch gesammelt und einheitlich verarbeitet und sind schlecht verfüg- und vergleichbar. »Obwohl die Bilder selbst immer besser werden, hat sich am Umgang damit seit Jahrzehnten nichts geändert«, kritisiert der Student und Firmengründer. Das deutsche Start-up Smart Radiology will das ändern und arbeitet daran, die Datenerfassung in der Radiologie zu standardisieren. Deshalb ist Abu Qader für ein paar Tage von New York nach München gekommen: Er arbeitet mit seinem eigenen Unternehmen GliaLab an der Diagnose weiterer Krebsarten. Die Kooperation mit den deutschen Radiologen könnte seiner Arbeit helfen.

Ohne TensorFlow hätte es dieses Treffen nicht gegeben. »Die Softwaresammlung ist für KI-Entwickler das, was WordPress für Blogger ist«, sagt Abu Qader. »Man bekommt das nötige Werkzeug, die nötigen Strukturen und die nötige Unterstützung, um unterschiedlichste Probleme technisch zu lösen.« Das Vorgehen ist immer gleich: Zunächst wird die TensorFlow-Bibliothek geladen. Dort kann der Entwickler eine Session definieren, also den Ablauf bestimmter mathematischer Operationen festlegen. Weil es sich um ein Open-Source-Projekt handelt, kann jeder TensorFlow nutzen und sich mit anderen austauschen. Entsprechend unterschiedlich sind die Ergebnisse: Natürlich nutzt Google selbst die Software, etwa für die Spracherkennung, die Übersetzungsfunktion oder Google Fotos. Aber auch Firmen wie SAP, Intel, Snapchat oder eBay haben TensorFlow längst für sich entdeckt. Hinzu kommen die Projekte der Nutzer: In Japan sortiert ein Gemüsebauer mithilfe der Software Gurken, in Kalifornien hilft sie der Feuerwehr, Waldbrände vorherzusagen, und Meeresbiologen unterstützt sie dabei, den Aufenthaltsort gefährdeter Wale zu bestimmen. »Die Möglichkeiten sind endlos«, sagt Abu Qader mit glänzenden Augen. Er hat sich fest vorgenommen, sie in Zukunft noch weiter auszureizen.

Fotografie: Roderik Aichinger

Weiterführende Links

tensorflow.org

smart-radiology.com

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