25 Berliner Geschichten
Start-ups, Ideen, Menschen mit Visionen: Die Hauptstadt durchweht jede Menge digitaler Pioniergeist – da gibt es viel zu erzählen
01 – Berlin TXL: Internationaler Ideenhafen
Auch wenn manche zweifeln: Der neue Berliner Flughafen wird fertig werden. Danach darf sich Tegel – einst Teil der Luftbrücke, dann ikonische Baukunst der Siebziger – wieder der Pionierarbeit widmen. Nach der Schließung von TXL entsteht hier die Urban Tech Republic, ein Forschungs- und Industriepark, in dem Gründer, Wissenschaftler und Unternehmen gemeinsam die Städte von morgen entwickeln wollen – für Berlin und weit darüber hinaus.
02 – Mission Chancengleichheit
Der Nachwuchs, daran besteht kein Zweifel, ist das Wichtigste im Leben Verena Pausders. Natürlich der eigene, ihre Tochter und die zwei Söhne, aber nicht nur. Als Gründerin und CEO hat sich die Wahlberlinerin dem digitalen Leben und Lernen aller Kinder verschrieben: Fox & Sheep bietet Apps wie Schlaf gut! oder Streichelzoo, mit denen sich Kinder behutsam und spielerisch an die digitale Welt herantasten. »In der HABA Digitalwerkstatt werden sie dann dazu befähigt, hinter die Benutzeroberfläche zu schauen und die digitale Welt aktiv und kreativ zu gestalten«, erklärt Pausder, die mit beiden Unternehmen höchst erfolgreich ist: Fox & Sheep etwa gehört mit mehr als 25 Millionen Downloads zu den zehn größten Entwicklern für Kinder-Apps in Europa. Aber das genügt der 40-Jährigen nicht, die 2018 in die Forbes-Liste der »50 wichtigsten Tech-Frauen Europas« aufgenommen wurde. »Für erfolgreiche Gründer muss soziales Engagement selbstverständlich sein«, findet Pausder und geht mit gutem Beispiel voran: 2017 gründete sie den gemeinnützigen Verein Digitale Bildung für Alle, der Kindern Chancengleichheit bringen soll.
Für erfolgreiche Gründer muss soziales Engagement selbstverständlich sein
Verena Pausder Fox & Sheep
Außerdem ist sie Mitbegründerin der Initiative Startup Teens, die Schülerinnen und Schüler für Unternehmertum begeistern soll. Anfang des Jahres wurde sie dafür beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten geehrt. »Es war ein beeindruckender Tag«, twitterte sie danach, wenngleich auch die politische Welt kein Neuland für sie ist: Verena Pausder ist Mitglied im Innovation Council von Digitalstaatsministerin Dorothee Bär sowie im Beirat Junge Digitale Wirtschaft des Bundeswirtschaftsministers.
03 – Sauber durch die City – ganz ohne Parkplatzstress
Sie starteten 2015 mit 150 Stück in Berlin und verleihen inzwischen 1600 Elektroroller in mehreren deutschen Großstädten: Der App-basierte Verleihdienst Emmy ist eines der wachstumsstärksten deutschen Digitalunternehmen. In Berlin gibt es aber noch weitere Start-ups, die auf grüne Mobilität setzen, zum Beispiel CleverShuttle. Hier können sich mehrere Gäste mit ähnlichem Ziel Fahrten teilen – in Elektro- oder Wasserstoffautos.
04 – Stadt der 52 Fashion Weeks
Nicht nur während der zweimal jährlich stattfindenden Fashion Week ist Berlin eine Modemetropole. Viele Digitalunternehmen kümmern sich von hier aus tagtäglich darum, dass die Menschen gut angezogen sind. Das größte heißt Zalando, zu den interessantesten gehören diese: Outfittery verschickt nach Befragung der Kunden komplette, passgenaue Outfits. Circular Fashion hilft Modeunternehmen dabei, recyclingfähige Kleidung zu entwickeln. Yeay ist eine App, auf der jeder über Kurzvideos seinen Look zeigen oder den anderer kaufen kann.
05 – Elektronische Musik
Seit 1989 die erste Love-Parade über den Ku’damm zog, hat sich in Berlin eine Club-Szene von Weltrang entwickelt. Doch nicht nur bei Technopartys ist die Hauptstadt führend, sondern auch bei digitalen Instrumenten: 1996 gründete Stephan Schmitt aus seiner Kreuzberger Wohnung heraus Native Instruments. Kurz danach stieg Daniel Haver ein, der das Unternehmen bis heute als CEO leitet und ihm zum Aufstieg verhalf: Native Instruments beliefert DJs mit Software, Mischpulten und anderem Equipment, aber auch Weltstars wie Madonna, Metallica oder Depeche Mode mit virtuellen Instrumenten aller Art. Chief Innovation Officer Mate Galic weiß aus eigener Erfahrung, worauf es bei elektronischer Musik ankommt: Als DJ und Moderator war er in den Neunzigern eine der einflussreichsten Figuren der deutschen Technoszene.
06 – Digitale Charmeoffensive
Die BVG teilt das Schicksal vieler ÖPNV-Anbieter in wachsenden Großstädten: Ihre Kunden sind regelmäßig sauer – wegen verspäteter U-Bahnen, überfüllter Busse oder gesperrter Tramlinien. Doch mit digitaler Hilfe hat das Unternehmen sein Image bei den Berlinern massiv verbessert. Einen Anteil daran hat die BVG-App mit Ticketfunktion – anfangs beworben mit den Worten: »Nagelneu und superschnell. Und trotzdem von uns«. Noch viel wirkungsvoller ist aber »Weil wir dich lieben«. In der Social-Media-Kampagne nimmt die BVG sich und ihre Kunden mit Ironie und Musik auf die Schippe. Als Belohnung gab’s unter anderem den Goldene Kamera Digital Award 2018 als bester Markenkanal bei YouTube – und viel Reichweite: Die YouTube-Clips der vergangenen drei Jahre wurden mehr als 30 Millionen Mal gesehen.
07 – Frisches Wissen
Ein neues Sensorsystem misst, wie schnell Frischeprodukte wertvolle Inhaltsstoffe abbauen – und hilft so, die Atmosphäre etwa in Obstlagern besser zu steuern und Verpackungssysteme zu optimieren. Diese gerade vorgestellte Entwicklung des Potsdamer Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie ist eine von vielen Innovationen aus den außeruniversitären Einrichtungen in und um Berlin. Neben der Leibniz-Gemeinschaft forschen hier auch Institute und Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft sowie der Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft zu technischen, naturwissenschaftlichen und anderen Fragen.
08 – Wie morgen arbeiten?
Berlin ist berühmt für WLAN-Cafés und Coworking-Spaces. Start-ups entwickeln hier ständig neue Ideen für die Arbeitswelt, zum Beispiel: Diversicon – eine Jobplattform für Autisten. Spacebase wie AirBnB, nur für Meetingräume. Talentwunder sucht in Onlinenetzwerken nach Talenten, die perfekt zu einer Firma passen.
09 – Netzperte
Meist geht es um Wirtschaft oder Wissenschaft, wenn sich Menschen professionell mit dem Internet und digitalen Technologien befassen. Insofern ist Markus Beckedahl eine Ausnahmeerscheinung, denn ihm geht es um gesellschaftliche Fragen des Informationszeitalters, um Netzpolitik. So heißt auch der Blog, den der Wahlberliner 2002 gründete, um über Themen wie staatliche Überwachung, Open-Source-Software oder Urheberrechtsfragen zu schreiben. Beckedahl, der Mitgründer der re:publica ist, beschreibt seinen preisgekrönten Blog als journalistisch, aber nicht neutral: »Wir engagieren uns für digitale Freiheitsrechte und ihre politische Umsetzung.«
Wir engagieren uns für digitale Freiheitsrechte und ihre politische Umsetzung
Markus Beckedahl Netzpolitik.org
10 – Das schmeckt nach Berlin
Currywurst und Döner haben von Berlin aus die deutschen Mägen erobert. Heute haben die kulinarischen Knüller meist digitale Wurzeln. Neben dem Lieferdienst-Riesen Delivery Hero tummeln sich in der Hauptstadt innovative Speisespezialisten wie diese: Marley Spoon versendet Kochboxen mit Rezept und Zutaten. Keatz kocht als Kette von »Ghost-Restaurants« ausschließlich für Lieferdienste. InFarm baut Gewächsschränke für Gemüseanbau in Restaurants und Supermärkten.
11 – Tagesspiegel Leute
Was tut sich in Lichtenberg? Worüber diskutieren die Neuköllner gerade? Und wer bewegt was in Treptow-Köpenick? Weil viele Kiez-Themen in der gedruckten Ausgabe keinen Platz finden, hat die gleichnamige Zeitung Tagesspiegel Leute erfunden: einen eigenen Newsletter für jeden der zwölf Berliner Bezirke. Einmal pro Woche informieren darin Autoren des Tagesspiegels über Namen und Nachrichten, aber auch Restaurants, Kultur und Events aus den Kiezen.
12 – Wie steht’s um die Finanzen?
Praktisch alle traditionellen Banken sitzen in Frankfurt – nicht so das wertvollste deutsche Finanztechnologie-Start-up. Die Onlinebank N26 kommt aus Berlin, wie viele Innovatoren rund um Finanzen und Versicherungen: Raisin/WeltSparen – europaweiter Marktplatz für Spar- und Investmentprodukte, SatoShipay – Blockchain-basiertes System, das Zahlungen von Kleinstbeträgen ermöglicht, Friendsurance – bündelt Kunden in Gruppen, um bei Versicherungen günstigere Konditionen zu erzielen.
13 – Digitale Diskussionen
In Berlin wird nicht nur gegründet, geforscht und gebaut – sondern auch viel diskutiert. Besonders intensiv geschieht das auf den beiden großen Digitalkonferenzen der Stadt: Noah und re:publica. Letztere definiert sich als die größte Konferenz der digitalen Gesellschaft in Europa. In der Station Berlin am Gleisdreieck trafen sich erst im Mai 2019 wieder Netzaktivisten, Blogger, Kreative und Unternehmensvertreter zu Vorträgen und Podiumsdiskussionen. Das diesjährige Motto der Veranstaltung »tl;dr« – Internet-Slang für »too long, didn’t read« (»zu lang, nicht gelesen«) – war die reine Ironie: Tatsächlich widmete sich die Konferenz nämlich der Langform, der ausführlichen Betrachtung digitaler Fragen, die immer komplizierter werden.
14 – Constanze Kurz: Informatikerin mit Zivilcourage
Besonders wenn es um Datenschutz geht, meldet sich die Sprecherin des Chaos Computer Clubs zu Wort. Das brachte ihr unter anderem die Theodor-Heuss-Medaille für vorbildliches demokratisches Verhalten ein. In ihrem aktuellen Buch Cyberwar beschreibt sie die Schwachstellen der vernetzten Gesellschaft.
15 – »Wir schaffen mit Siemensstadt 2.0 ein für alle offenes Ökosystem«
Siemens-Vorstandsmitglied Cedrik Neike bei der Unterzeichnung eines Zukunftspakts in Berlin. Gut 100 Jahre nach der historischen Siemensstadt plant der Konzern hier eine neue Arbeits- und Lebenswelt, in der die Schlüsseltechnologien von morgen entstehen sollen.
16 – Bezahlen mit Peanuts
Ob im Supermarkt, beim Fliegen oder im Hotel: Überall kann man Treuepunkte sammeln. Einzeln sind sie wenig wert – und damit ideal zum Bezahlen von Kleinstbeträgen, findet PayPeanuts. Das Start-up will es ermöglichen, damit digitale Medieninhalte zu bezahlen –und so helfen, dass sich guter Content lohnt.
17 – Ganz neuer Mobilitätsclub
Nicht weniger als die Zukunft der Mobilität wird seit März 2019 im ehrwürdigen Tempelhofer Ullsteinhaus ausgetüftelt. Auf fast 10 000 Quadratmetern hat hier The Drivery Quartier bezogen, ein Innovationsclub mit Fokus auf Fortbewegung. Start-ups, Freiberufler, akademische Institutionen und Unternehmen finden hier nicht nur Büroarbeitsplätze, sondern auch Veranstaltungsflächen, hochleistungsfähige IT-Infrastruktur sowie eine Fahrzeugwerkstatt mit modernster Ausstattung. Alles Nötige also, um schnell voranzukommen: von der Idee über den Prototypenbau bis zum Markteintritt.
18 – Auf beste Nachbarschaft
Unbeeindruckt von Facebook, Instagram, Xing und anderen Größen der Social-Media-Welt hat das Berliner Start-up Good Hood nebenan.de entwickelt. Mit mehr als einer Million Mitglieder in vielen Städten ist die Plattform Deutschlands größtes soziales Netzwerk für Nachbarn. Die können dort mit Menschen aus dem eigenen Kiez oder aus den angrenzenden Vierteln interagieren. Dabei geht es nicht ums Sammeln von Likes, sondern um echte Nachbarschaftshilfe – vom Blumengießen und Babysitten über Tipps für Neuankömmlinge bis zum Verleihen und Verschenken aller möglichen Dinge.
19 – Berliner YouTube-Stars
Falls noch irgendjemand denken sollte, dass in den sozialen Medien nur Oberflächlichkeiten punkten: Florian Diedrich beweist das Gegenteil. Unter seinem Künstlernamen LeFloid gehört der Berliner mit mehr als drei Millionen Anhängern zu den meistgesehenen YouTube-Stars Deutschlands. Auf seinem Kanal LeNews kommentiert der 31-Jährige, der nach dem Abitur Psychologie und Rehabilitationspädagogik studierte, aktuelle Geschehnisse – oftmals zu Themen wie Schule, Mobbing, Politik. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der mehrfach preisgekrönte Videostar bereits interviewt.
Noch mehr Youtube-Stars aus BERLIN:
Jay & Arya
In ihrer Sendung Film Geek teilen die Jungs Filmwissen mit 1,8 Millionen Followern.
Fraeuleinchaos
Von Datingtipps für Nerds bis zu nachdenklichen Themen ist bei Sina alles dabei.
Ost Boys
Direkt aus Marzahn: Die »asozialste YouTube-Serie Deutschlands« ist auch eine der witzigsten.
20 – Wie klang das noch früher?
Im Zuge der Digitalisierung ist Musik jeder Art besser auffindbar und leichter verfügbar geworden. Dank der Deutschen Grammophon gilt das seit Kurzem auch für sehr alte Aufnahmen: Gemeinsam mit Google Arts & Culture hat das älteste Klassiklabel der Welt Raritäten aus der Schellackära digitalisiert – Knistern inklusive.
21 – Neue Wege zur Heilung
Mit der Charité befindet sich nicht nur eine der größten Universitätskliniken Europas in Berlin. Auch in Sachen Healthtech und Biotech hat die Stadt mittlerweile ein imposantes Renommee – auch dank Start-ups wie diesen: Mediaire – künstliche Intelligenz in der Radiologie für schnellere und präzisere Befunde, Heartbeat Medical – digitale Patientenbefragung, Qunomedical – Plattform zur Vermittlung medizinischer Behandlungen im In- und Ausland.
22 – Vom Taxifahrer zum Entwickler
Als Raffaela Rein in ihrem früheren Job Digitalexperten suchte, scheiterte sie am leer gefegten Arbeitsmarkt. Zugleich sah sie die Chance: Gemeinsam mit Martin Ramsin gründete sie CareerFoundry, ein Weiterbildungszentrum im Internet. Menschen aus aller Welt können sich hier in Onlineteilzeitkursen zu Webentwicklern, UX- und UI-Designern ausbilden lassen – was seit 2014 mehrere Tausend getan haben.
23 – Der Sound aus Berlin
Mehr als 200 Millionen Titel von 20 Millionen Künstlern machen SoundCloud zur nach eigenen Angaben weltgrößten Musik- und Audioplattform. Eine starke Entwicklung für ein Projekt, das 2007 mit bescheidenem Ziel in Berlin begann: Die Gründer wollten es Musikern erleichtern, Tracks untereinander auszutauschen.
24 – Grüne Technik, saubere Luft
Das Berliner Start-up Green City Solutions hat mit dem CityTree eine Mooskultur mit Sitzgelegenheit kreiert. Auf kleiner Fläche reinigt jedes einzelne Stadtmöbel so viel Luft wie etwa 275 Stadtbäume. Das effiziente, aber sehr empfindliche Moos wird per Sensorensteuerung mit Wasser und Nährstoffen versorgt.
25 – Der klügste Kiez der ganzen Stadt
Innovation ist in Adlershof nichts Neues. 1912 eröffnete hier die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt, in den 1920ern wurden Autos gebaut und Spielfilme gedreht. Vor der Wende war der Kiez in Treptow das wichtigste Forschungszentrum der DDR, danach wurde der Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof zu einem der bedeutendsten deutschen Hochtechnologieorte. Auf 4,2 Quadratkilometern drängen sich zehn außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, sechs Institute der Humboldt-Universität und rund 1100 technologieorientierte Firmen.
Fotografie: Getty Images (2), Kim Keibel, Camille Blake, Hans Christian Plambeck/laif; Petra Steiner/re:publica, Peter Endig/dpa, nebenan.de, Werner Amann/laif, © Deutsche Grammophon, CityTree, ©WISTA.Plan GmbH (Foto: D.Laubner); Illustration: Veronika Schmidt, Birgit Henne, Noëm Held