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Gelassen weitergehen

Arbeitssoziologin Sabine Pfeiffer sieht viel Hysterie in der Debatte über die Digitalisierung der Berufswelt. Den Chefs empfiehlt sie mehr Ehrlichkeit und allen Arbeitern das Gespräch mit den Kollegen

Frau Professor Pfeiffer, Sie sind gelernte Werkzeugmacherin. Angenommen, Sie wären noch in diesem Job tätig – würden Sie sich angesichts der Digitalisierung Sorgen machen?

Ich wäre zwiegespalten. Als Facharbeiter in der Produktion hat man noch immer einen spürbaren Stellenwert. Da würde ich mir keine Sorgen machen. Unsicher werde ich, wenn ich die Zeitung aufschlage. Dort ist ständig auf Basis teils fragwürdiger Studien zu lesen, dass Menschen, die an Maschinen arbeiten, Opfer der Digitalisierung sein werden.

Ihre Ausbildung ist 30 Jahre her. Könnten Sie mit dem Wissen von damals heute wieder als Werkzeugmacherin arbeiten?

Wenn ich heute wieder in die Fertigung gehen würde, hätte ich Einstiegsprobleme. Wäre ich aber im Job geblieben, hätte ich überhaupt keine Schwierigkeiten. Facharbeiter bilden sich permanent ­weiter. Wenn eine neue Maschine oder eine neue Software kommt, gibt es dafür ­natürlich Schulungen. Mich ärgert es, wenn Führungskräfte sich sorgen, ob man einem Mitarbeiter an der Maschine ein Tablet in die Hand geben kann. Tatsächlich verwenden die Leute in der Produktion oft viel komplexere Digitaltechnik als jemand, der im Büro sitzt und Excel benutzt.

Wird der Mensch in der Industrie 4.0 überflüssig?

Niemand weiß, wo die Reise hingeht. Die Entwicklung ist schon heute extrem unterschiedlich und ungleichzeitig. Es wird keinen Schub geben, der dafür sorgt, dass nach fünf oder zehn Jahren in allen Bereichen alles in gleicher Art anders sein wird.

Es ist nicht gerade ermutigend für Beschäftigte, wenn ihre Chefs nicht mal ungefähr wissen, was passieren wird.

Es wäre hilfreich, wenn die Chefetage sagen würde: Wir kennen die Zukunft auch nicht, aber lasst uns gemeinsam darüber sprechen, wie wir sie gestalten. Immer nur zu sagen, man müsse »die Leute mitnehmen«, das reicht nicht. Chefs müssen mit ihren Beschäftigten reden und sie von Anfang an ihre Erfahrungen einbringen lassen. Sie müssen ihre Mitarbeiter fragen, welche Technologien die Arbeit besser, einfacher oder effizienter machen könnten. Das geschieht zu selten.

Als Arbeitssoziologin befassen Sie sich unter anderem mit Ängsten von Beschäftigten. Fürchten sich Menschen vor beruflicher Veränderung?

Ich erlebe nicht Angst, sondern Skepsis. Viele haben berufliche Veränderungen am Arbeitsplatz so erlebt, dass für sie die Arbeit intensiver und schlechter geworden ist; dass zum Beispiel ein Qualitätsmanagementsystem die Qualität nur wenig, den Aufwand aber stark erhöht hat. Oder dass eine neue Software zwar toll aussieht, wichtige Tools aber nicht eingebaut wurden und deshalb parallel noch Excel-Listen nötig sind. Wer das erlebt, geht mit einer gesunden Skepsis an den nächsten Veränderungsprozess. Das hat nichts damit zu tun, dass Menschen Angst vor Veränderungen haben. Es hat damit zu tun, dass Führungs­kräfte oft nicht ehrlich sind. Chefs sollten ihren Mitarbeitern häufiger von sich aus sagen, wo es hingeht. Wenn Leute sich ängstigen, ob sie morgen noch ihren Job haben, dann vielleicht nur, weil nicht offen genug mit ihnen geredet wird.

Ich mache mir um die Menschen keine Sorgen

Sabine Pfeiffer Soziologin und Expertin für die Zukunft der Arbeit

Viele Beschäftigten sorgen sich, durch den digitalen Wandel beruflich abgehängt zu werden. Welche Auswege kennen Sie?

Sie müssen diese Gedanken offen artikulieren. Auch ältere Beschäftigte sollten auf ihre Vorgesetzten zugehen und sagen: Vergiss mich nicht, auch wenn ich nicht mehr 30 bin, ich würde mich gern weiterbilden! Dieser Weg kann über den Betriebsrat oder die Personalabteilung führen. In jedem Fall sollte sich der Chef freuen, wenn sein Mit­arbeiter von sich aus um Weiterbildung bittet.

Berufliche Sorgen erzeugen schlechte Gefühle. Wie gehe ich damit um?

Wichtig ist es, mit den Ängsten nicht ­allein zu bleiben. Sprechen Sie mit den Kollegen darüber. Nehmen Sie Kontakt zu anderen Gruppen im Unternehmen auf. Gemeinsam ist es einfacher, Sorgen zu artikulieren, Offenheit anzuregen oder Weiterbildung einzufordern.

Beschäftigte ohne Ausbildung sind durch die Digitalisierung besonders gefährdet. Was können sie tun?

Menschen ohne Qualifikationen tun sich am schwersten, aus eigener Kraft etwas zu tun – weil ihr Einkommen keine Fortbildung zulässt oder weil es in ihren Unternehmen keine Weiterbildungsprogramme gibt. Hier müssen Unternehmen, aber auch Politik und Gesellschaft in die Verantwortung gehen.

Mit einem Grundeinkommen?

Grundeinkommen als Almosen ist keine Lösung. Auf Dauer sicher nur die Teil­habe an guter Arbeit, auch die Teilhabe an Gesellschaft.

Sie forschen nicht nur zur Zukunft der Arbeit, sondern verfolgen auch die Debatte darüber. Wie ist Ihr Eindruck?

Ich ärgere mich über eine gewisse Hysterie in der Diskussion. Es scheint nur Utopie oder Dystopie zu geben. Dann werden oft Dinge diskutiert, die haben wir in der Industrie schon längst. Als ich in der Ausbildung war, hatten wir in unserem Werk schon Industrieroboter, die man über einfache Anweisungen und ohne Programmierung in Gang setzen konnte. Das ist gar nicht so neu. Den intelligenten ­humanoiden Roboter dagegen, der uns im Arbeitsleben ersetzt, den gibt es auch in Jahrzehnten noch nicht.

Die Rede ist immer von Robotern. Wo bleiben die Menschen?

In der Debatte wird der Mensch immer schnell zum Defizit erklärt – als ängstlicher Mensch, der nicht bereit sei für die neue Welt. Ich mache mir um die Menschen keine Sorgen. Man hört immer, dass Mensch keine Veränderungen wollen. Ich erlebe das ganz anders. Beschäftigte lassen sich sehr wohl auf Veränderungen ein, das müssen sie ja ohnehin ständig. Ich frage mich eher, was es mit ihnen macht, wenn sie überall lesen und hören, sie seien ein Auslaufmodell.

Illustration: Francesco Ciccolella; Foto: Andreas Amann

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