» Datenschutz kann Innovation fördern «
Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Prof. Alena Buyx, geht im Alltag sehr sorgsam mit ihren Daten um. Zugleich plädiert sie für den Abbau von rechtlichen Hürden, um Gesundheitsdaten besser zum Wohl der Allgemeinheit nutzen zu können
Frau Prof. Buyx, wann und wo haben Sie zuletzt personenbezogene Daten hinterlassen?
Vermutlich heute, bei der Nutzung sozialer Medien über mein Handy.
Wie gehen Sie dabei mit Ihren Daten um?
Ich achte recht penibel darauf, nicht mehr Daten zu hinterlassen als nötig. In allen Apps, die ich nutze, habe ich die strengsten Sicherheitseinstellungen gewählt. Ich untersage zum Beispiel die Weitergabe meiner Daten an »Third Parties«, also an Anbieter außerhalb des jeweiligen Dienstes. Und Standortdaten gebe ich nur weiter, wenn es für die Dienstleistung erforderlich ist.
Und beim Surfen im Internet?
Ich bin im privaten Surfmodus unterwegs. Und ich schaue mir die Cookie-Erläuterungen an, die erscheinen, wenn ich eine Website besuche. Oft kann man dort entscheiden, nur die notwendigsten Cookies zuzulassen. Ärgerlich finde ich es, wenn der auffälligste Auswahlbutton derjenige ist, mit dem alle Datennutzungen akzeptiert werden.
Das alles erfordert einigen Aufwand.
Zwei bis drei Minuten am Tag für die Cookie-Einstellungen kann man investieren, finde ich. Mit den App-Einstellungen habe ich insgesamt mehrere Stunden verbracht. Das lässt sich gut mal auf einer langen Zugfahrt erledigen.
Warum gehen Sie so vorsichtig mit Ihren Daten um?
Wenn mir ein Dienst wichtig ist, nehme ich bestimmte Formen der Datennutzung bewusst in Kauf. Ansonsten bin ich so datensparsam wie möglich. Für mich ist das eine Güterabwägung: Ich verzichte auf digitale Angebote von kommerziellen Anbietern, wenn ich im Gegenzug zu viele persönliche Daten abgeben muss.
Wie stehen Sie zur Datennutzung in Ihrem Fachgebiet, der Medizin?
Insgesamt positiv. Es ist ein wesentlicher, auch ethischer Unterschied, ob beispielsweise soziale Medien personenbezogene Daten zu unbestimmten, kommerziellen Zwecken sammeln oder ob eine öffentliche Einrichtung damit gesundheitsbezogene Forschung betreibt. Natürlich gibt es auch kommerzielle Zielsetzungen, die ethisch unproblematisch sind. Aber medizinische Forschung hat meist ein klar allgemeindienliches Ziel: Sie versucht, Gesundheit zu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbessern.
Welche Chancen bietet Datennutzung in der Medizin?
Die Chancen sind vielfältig. Ich sehe großes Potenzial in der Präventionsforschung. Wenn man medizinische Biobanken etwa mit Sekundärdaten aus Krankenhäusern verknüpft, lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, wann bestimmte Krankheiten entstehen und wie sie verlaufen. Bei Krebs oder neurologischen Erkrankungen gibt es damit noch viel zu lernen. Natürlich lassen sich auch neue Medikamente entwickeln, indem man bestimmte Algorithmen über Datensätze laufen lässt. Leider scheitern viele Möglichkeiten an den in Deutschland verfügbaren Datenmengen. Bei Anwendungen des maschinellen Lernens in der Medizin haben uns China und die USA längst den Rang abgelaufen.
Das mag wirtschaftlich schwierig sein. Ist es auch ein medizinisches Problem?
Ja, denn wir können nicht einfach medizinische Forschungsergebnisse aus anderen Ländern übernehmen. Die Patienten und die Erkrankungen unterscheiden sich, deshalb ist es wichtig, dass wir selbst forschen. Wir würden vermutlich mehr neue Medikamente und Therapieansätze finden, wenn wir viel größere und besser vernetzte Datensätze aus deutschen Krankenhäusern hätten. Das wird gerade durch verschiedene Forschungsinitiativen vorangetrieben.
Welche Hürden stehen der Forschung entgegen?
Die Datenschutz-Grundverordnung enthält zwar eine Ausnahmeregelung für Forschungszwecke. Aber es nutzt kaum jemand diesen Spielraum, weil es aufwendig sein kann, das durchzusetzen. Eine weitere Hürde ist, dass nach unserem Recht fast immer ein neues Forschungsprojekt entsteht, sobald Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler innerhalb einer Studie Veränderungen vornehmen wollen. Andere Länder geben da auch über ihre Ethikkommissionen breiteren Spielraum. Bei uns ist oft ein neuer, vollständiger Antrag mit Datenschutzkonzept notwendig. Das bremst.
Was müsste sich ändern?
Ich wünsche mir mehr Augenmaß und zumindest vereinfachte Begutachtungswege. Und mit Blick auf die Einwilligung der Patientinnen und Patienten könnten zukünftig Datentreuhänder ein guter Weg sein. Sie würden Daten als neutrale Zwischenstation verwalten und dürften sie unter genau definierten Bedingungen anonymisieren und weitergeben. Vorab könnte der oder die Einzelne festlegen, wofür die Daten genutzt werden dürfen, ob nur für öffentlich geförderte Forschung oder auch für kommerzielle Entwicklungen.
Sehen Sie auch Risiken bei der Nutzung von Big Data in der Medizin?
Natürlich. Abgesehen davon, dass die Daten streng geschützt werden müssen, gibt es ethische Probleme, die in den Daten selbst liegen: Sie können »biased« oder verzerrt sein, wie wir in der Wissenschaft sagen.
Sie meinen, in eine Richtung voreingenommen?
Ja, ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt einen Algorithmus, der akutes Nierenversagen auf Intensivstationen mit doppelt so hoher Präzision vorhersagt wie Mediziner. Das ist ein großer Fortschritt. Als Forscher untersuchten, warum der Algorithmus trotzdem noch relativ häufig falsch lag, fanden sie heraus: Der verwendete Datensatz basierte auf 92 Prozent männlichen und nur acht Prozent weiblichen Patienten. Das entspricht natürlich nicht der Geschlechterverteilung auf Intensivstationen.
Ein aktuelles Beispiel für Datennutzung im Gesundheitswesen ist die Corona-Warn-App. Sie gilt in Sachen Datenschutz als vorbildlich. Manche kritisieren aber, dass dadurch Gesundheitsämter keine Informationen bekommen. Wie schätzen Sie diesen Zwiespalt ein?
Hier wurde recht strikter Datenschutz umgesetzt, deshalb sind bestimmte Funktionen nicht vorhanden. Technikfachleute sagen mir, dass man zum Beispiel die Cluster-Erkennung noch verbessern könnte, ohne den Datenschutz zu verringern. Aber es gibt auch andere technische Wege, den Gesundheitsämtern die Arbeit etwas zu erleichtern.
Auch auf Kosten des Datenschutzes?
Wir sollten alle Möglichkeiten in den Blick nehmen, die uns in der Pandemie zur Verfügung stehen. Daher müsste zumindest geprüft werden, ob es weitere Optionen gibt, mit digitaler Datennutzung zur Pandemieeindämmung beizutragen und zukünftig rascher wieder zu mehr freiem Leben zu kommen. Dazu gehören etwa digitale Corona-Tagebücher, aber auch neue Opt-in-Funktionen. Die können es Menschen, die dazu bereit sind – und das sind durchaus viele –, ermöglichen, mit stärkerem Tracking aktiv bei der Pandemiebekämpfung mitzuhelfen.
Auch jenseits der Medizin ist immer wieder der Vorwurf zu hören, dass Datenschutz digitale Innovationen behindert. Wie sehen Sie das?
Datenschutz ist ohne Frage eine ethische Notwendigkeit. Und wenn er gut gemacht ist, kann er Innovation sogar befördern.
Was unterscheidet guten von schlechtem Datenschutz?
Von schlechtem oder dysfunktionalem Datenschutz spreche ich, wenn er nicht mehr zu den Gegebenheiten passt oder wenn er wichtige soziale Güter unmöglich macht. Dann ist Datenschutz auch ein Innovationshemmer. Datenschutz made in Germany sollte synonym werden für hochwertigen, durchaus strengen Datenschutz, der aber auch verantwortungsbewusste Innovation ermöglicht.
Foto: TU München, Illustrationen: Anton Hallmann/Sepia