Gipfeltreffen
Die eine erzählt in ihren YouTube-Videos aus ihrem Leben und begeistert damit Hunderttausende, der andere erfand die einst größte Fernsehshow Europas und erobert nun mit Interviews auf YouTube neues Terrain: ein Doppelgespräch mit Mirella Precek und Frank Elstner
Herr Elstner, Sie führen seit April in Ihrem YouTube-Kanal Interviews mit Menschen wie Helene Fischer oder Herbert Grönemeyer. Ist das Ihre erste Arbeit auf der Plattform?
Elstner: Nein, ich hatte mal die Ehre, vom Rapper Cro gefragt zu werden, ob ich in einem seiner Videos mitspielen möchte. Ich fragte meine Kinder, wer Cro sei – und die sagten nur: Das musst du machen!
In welcher Rolle spielen Sie mit?
Elstner: In welcher wohl? Als Moderator.
Die aktuelle Reihe heißt Wetten, das war’s …? und soll Ihr letztes großes Projekt werden. Allein das Gespräch mit Jan Böhmermann fand weit mehr als 500 000 Aufrufe, mehr als 800 Menschen haben kommentiert. Wie unterscheidet sich das Feedback auf diese Reihe zur Resonanz auf Ihre TV-Produktionen?
Elstner: Einem Unterhalter gegenüber sind viele immer sehr kritisch, das weiß ich aus der Vergangenheit. Ich habe das Gefühl, dass ein Teil der Reporter, die über mich schreiben, nun einen anderen Ton anschlägt. Manche scheinen verwundert zu sein, dass ich relativ uneitel diese Gespräche führe – ich bin nicht geschminkt, die Gespräche finden auf den Bühnen von kleinen Theatern statt, in denen kein Platz besetzt ist.
Frau Precek, wie haben Sie sich an YouTube herangetastet?
Precek: Ich fing an, weil ich Moderatorin bei Punkt 12 auf RTL werden wollte. Ich dachte, ich sammle ein bisschen Erfahrung vor der Kamera und begann neben dem Studium mit meinem Kanal »mirellativegal«. Das wurde zum Nebenjob und dann zum Hauptberuf.
Sie haben heute mehr als 500 000 Abonnenten. Was hat sich seit Beginn vor sechs Jahren verändert?
Precek: Zwischen 19 und 25 passieren im Leben viele Sachen. Wenn man dabei Zuschauer hat, beschleunigt das die persönliche Entwicklung und die des Kanals. Bei jedem meiner Videos kann ich durch die Kommentare nachvollziehen, welche Stelle die Leute lustig finden, was nicht so gut ankommt, was die Menschen zu meinen Gedanken denken, über welches Thema ich reden sollte. So ein krasses, genaues Feedback bekommt man nur im Internet.
Herr Elstner, wie sah früher die Resonanz auf Ihre Sendungen aus?
Elstner: Ich begann beim Radio. 1965 gaben wir bei Radio Luxemburg Infratest-Umfragen in Auftrag, weil wir wissen wollten, ob wir im Fröhlichen Wecker, einer Morgensendung, mehr Musik spielen sollten oder mehr Nachrichten. Die Untersuchungen waren sauteuer, in einem Jahr haben wir Millionen ausgegeben, um anständige Zahlen zu haben.
Und wie war das Ergebnis?
Elstner: 1965 hieß das Ergebnis »mehr Musik«, 1966 »mehr Nachrichten«.
Ich wurde nicht fürs Fernsehen geboren. Ich habe ein Glasauge, ich bin nicht besonders groß, kein attraktiver Held. Aber die Leute haben gemerkt, dass ich versuche, natürlich zu sein
Frank Elstner
Sie gingen später zum Fernsehen, als Moderator und Produzent. Wie hat sich die Arbeit mit Bewegtbild verändert?
Elstner: Eine der ersten deutschen Talkshows moderierte Joachim Fuchsberger – mit drei Bildschnitten je Minute. Als ich im Jahr 2000 die Sendung Menschen der Woche begann, machte ich eine Bestandsaufnahme und sah, dass die Talkshows jener Zeit 20 Schnitte pro Minute hatten. Ich sagte meinem Regisseur, dass ich mir für uns mindestens 40 Schnitte pro Minute wünsche. Das war erfolgreich. Heute gibt es online Clips mit 200 Schnitten in der Minute.
Frau Precek, Sie produzieren Ihre Videos selbst. Konnten Sie von Beginn an schneiden?
Precek: Überhaupt nicht! Ich begann mit dem Windows Movie Maker, und meine ersten Videos waren sehr langsam. Heute gibt es keine Verschnaufpausen, der Zuschauer muss immer dranbleiben. Das hat sich in den vergangenen sechs Jahren stark verändert. Ich habe mir inzwischen ein besseres Schnittprogramm zugelegt und bin durchs Üben besser und schneller geworden. Es macht ja auch kein anderer: Wenn ich es nicht mache, gibt es kein Video. Wie ist das bei Ihnen?
Elstner: Vor einigen Jahren habe ich gemeinsam mit meinem Sohn Thomas Elstner, der in Berlin mit seiner Firma Zoo Agency Filme produziert, eine Meisterklasse für junge Moderatoren unterrichtet. Er sagte vor den Schülern: Ihr lernt bei meinem Vater vielleicht, wie man was richtig betont, aber von Technik hat er keine Ahnung!
Das ist nicht so freundlich.
Elstner: Aber es stimmt. Früher machten wir immer ein großes Bohei darum, wer denn als Schnittmeister für eine Produktion in Frage komme, wer der Tonmeister sein könnte – früher konnte ein Regisseur, wenn er das wollte, zwei weitere Aufnahmeleiter bestellen.
Strengt Sie das Selbermachen an, Frau Precek?
Precek: Oft fühle ich mich überfordert, weil ich meinen Ansprüchen nicht gerecht werde. Trotzdem mache ich meine Sachen gerne selbst – weil ich dann weiß, dass es gut wird. Ich mag es, alles unter Kontrolle zu haben.
Wie wichtig ist auf YouTube die Qualität der Produktion?
Precek: Viele Kanäle sind supererfolgreich, obwohl sie eine schlechte Beleuchtung und einen schlechten Ton haben. Die Zuschauer werden durch Persönlichkeiten gelockt, durch den Charme dessen, dass man es überhaupt versucht.
Sehe ich auf mirellativegal eine Kunstfigur?
Precek: Ich finde das Interview spannend, das Herr Elstner mit Jan Böhmermann geführt hat. Böhmermann sagt sinngemäß, dass er in der Öffentlichkeit einen Charakter darstelle. Ich dachte in dem Moment nur: Das muss so angenehm sein, das muss ich mir auch vornehmen.
Wie meinen Sie das? Haben Sie Sorge, zu viel Persönliches zu erzählen?
Precek: Ja, ich muss mich besser abkapseln. Am liebsten würde ich die Kommentare unter meinen Videos lesen und denken, dass sie sich nur an mirellativegal richten, nicht an mich direkt. Dann müsste ich mich nicht ständig fragen, ob ich wirklich so bin, wie es mir in den fiesen Kommentaren unterstellt wird. Ich brauche, denke ich, eine Wand, zum eigenen Schutz.
Videos sind manchmal wie eine Therapie. Wenn man etwas ausgesprochen hat, kann man weiterdenken. Die Videos sind mein Tagebuch, für andere
Mirella Precek
Pflegen Sie eine öffentliche und eine private Figur, Herr Elstner?
Elstner: Ich wurde nicht fürs Fernsehen geboren, ich habe ein Glasauge, ich bin nicht besonders groß, kein attraktiver Held. Aber die Leute haben gemerkt, dass ich versuche, natürlich zu sein. Das hat mir geholfen. Es gibt keinen Unterschied zwischen Frank Elstner privat und im Fernsehen. Und ich glaube, eine ähnliche Natürlichkeit macht auch den Erfolg von Frau Precek aus.
Erinnern Sie sich an den ersten negativen Kommentar, Frau Precek?
Precek: Ja, der ging so: »Du bist scheiße, deine Musik ist scheiße, mach nie wieder Videos.« Danach habe ich erst mal geweint. Das ist aber lange her, und heute würde ich keinen Gedanken mehr daran verlieren: Da hatte jemand einen schlechten Tag, und gut ist es. Was ich noch immer nicht abschalten kann, ist der Drang, mich zu rechtfertigen, wenn ich falsch verstanden wurde.
Können Sie gleich nach der Produktion erfühlen, ob ein Beitrag gut war?
Precek: Beim Video Warum ich fett geworden bin war klar, dass es funktioniert. Mein viertes Video aber, das ich hochgeladen habe, war 6 supereinfache und schnelle (Flecht-)Frisuren. Es hat 1,3 Millionen Views und ist mein zweiterfolgreichstes. Ich rede total unmotiviert, die Frisuren sind nichts Besonderes, die Kameraführung ist schlecht – keine Ahnung, warum es so viele Aufrufe hat.
Fällt es Ihnen schwer, konsequent jede Woche zu veröffentlichen?
Precek: Ja, wenn ich sehr lange produziere und keine Chance habe zu reflektieren, brenne ich irgendwann aus. Deshalb habe ich mir vor Kurzem eine Auszeit genommen – und plötzlich kamen auch die Ideen wieder. Machen Sie häufiger Pause, Herr Elstner?
Elstner: Das mit dem Ausbrennen kenne ich nicht. Mein Deutschlehrer hat mir beigebracht, Kreativität auf Knopfdruck zu erzeugen, das hilft mir noch heute.
Precek: Was hat er Ihnen gezeigt?
Elstner: Ein einfaches Spiel, wir können es gleich ausprobieren: Sagen Sie mir bitte einen Satz mit fünf Wörtern!
Precek: Ich – sitze – hier – mit – Frank.
Elstner: Okay. Was verbinden Sie mit dem Wort »Ich«?
Precek: Mirella.
Elstner: Gut. Was noch? Ich schreibe mit.
Precek (überlegt): Aussehen. YouTube. Nett. Rote Haare. Reflexion.
Elstner: Was fällt Ihnen zu »sitze« ein?
Precek: Stuhl. Bequem. Zug. Verspätung. Klimaanlage fällt aus.
Elstner: Was assoziieren Sie mit »hier«?
Precek: Baden-Baden. Schön. Sieht aus wie Disneyland. Hotel. Sonne. Warm.
Elstner: Woran denken Sie bei »mit«?
Precek: Freunde. Essen. Käse. Mir. Frank.
Elstner: Und bei »Frank«?
Precek: Elstner. Der Weddingplaner.
Elstner: Das war es schon: Sie notieren Assoziationen zu den Worten eines Satzes. Und jetzt zwinge ich Sie, mit dem, was hier steht, eine Fernsehsendung zu entwickeln. Was machen wir damit?
Precek (ÜBERLEGT): Okay, Moment ... es ist eine Fernsehsendung, in der wir beide ... mit dem ICE von Baden-Baden aus durch Deutschland fahren. Und immer steigen neue Leute zu, mit denen wir uns unterhalten.
Elstner: Wunderbar! Die ICE-Sendung mit Mirella und Frank – die schnellsten Gespräche Deutschlands.
Precek: Eine spannende Übung!
Frau Precek, Sie wollten ursprünglich ins Fernsehen. Was wäre gewesen, wenn es geklappt hätte?
Precek: Ich habe mich oft gefragt, wie sich meine Kamerapersönlichkeit entwickelt hätte, wenn ich zum Fernsehen gegangen wäre. Ich habe ja eigentlich mit Beautyvideos begonnen, dann haben mir Leute geschrieben: Du bist lustig, mach mal mehr im Comedybereich! Erst dachte ich: Nee, ich kann nicht auf Knopfdruck lustige Videos machen – und habe es dann doch versucht.
Herr Elstner, wäre eine solche Veränderung im Fernsehen möglich gewesen?
Elstner: Wenn Mirella im Fernsehbereich gearbeitet hätte, dann hätte sie heute genau ein Gesicht. Durch ihre Arbeit mit Onlinevideos hat sie viele Hundert. Das ist das Spannende an dieser Entwicklung.
Sie haben neben Wetten, dass…? viele weitere Fernsehsendungen entwickelt. Auf welche sind Sie besonders stolz?
Elstner: Auf Die stillen Stars.
Das lief in den 1980er Jahren im ZDF, nicht wahr?
Elstner: Genau. Das war eine Interviewreihe, für die ich mit insgesamt 138 Nobelpreisträgern aus aller Welt privat oder an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz gesprochen habe.
Frau Precek, Fernsehen fand für Frank Elstner immer wieder vor echtem Publikum statt. Sie hingegen reden alleine in Ihrer Wohnung in die Kamera. Welche Idee haben Sie von Ihren Zuschauern?
Precek: Eben im Zug hatte ich eine schöne Begegnung mit einem Mädchen: Ich guckte zwischen den Sitzen nach vorne und sah mich auf ihrem Handybildschirm. Als wir ausstiegen, sprach sie mich an, das war sehr nett. Auf YouTube kann ich natürlich in die Analytics gucken und sehe, wer die Leute sind, die meine Videos anklicken. Oft ist es ein Spiegelbild von mir, oft sind es weibliche Zuschauerinnen, in meinem Alter, plus minus fünf Jahre. Sie sehen etwas in mir, das sie in sich selbst sehen, nehme ich an.
Sie sprechen die Zuschauer direkt an.
Precek: Die Videos sind manchmal wie eine Therapie. Wenn man Sachen ausspricht, wird einem vieles klarer; wenn man etwas ausgesprochen hat, kann man weiterdenken. Die Videos sind mein Tagebuch, für andere.
Herr Elstner, Sie haben sich Zeit Ihres Lebens mit Lampenfieber geplagt, korrekt?
Elstner: Ich bin der Erfinder des Lampenfiebers. Wenn ich am Samstag eine Sendung habe, kann ich ab Donnerstag nicht mehr schlafen. Es gibt kein Mittel dagegen. Ein Arzt sagte mir einmal: Du wirst nie daran sterben, aber damit.
Frau Precek, kennen Sie den Bammel vor der Aufnahme?
Precek: Ich finde, Aufregung ist ein Zeichen dafür, dass mir das, was ich mache, etwas bedeutet. Offenbar will ich, dass es gut wird – und es ist mir alles andere als egal. Elstner: Eine schöne Sichtweise. Ich bin wirklich gespannt, wie es mit Ihnen weitergeht. Precek: Die Fernsehsendung steht ja jetzt! Elstner: Und Sie wissen jetzt, wie einfach es ist.
Fotografie: Katrin Binner