Innovationen von hier
Welche technischen und digitalen Ideen und Lösungen gibt es im Kampf gegen die Klimakrise? Eine inspirierende Reise durch Deutschland
10 Minuten Lesezeit
CLIMATE FARMERS AUS BERLIN
Satellitendaten für bessere Böden
Das ist das Problem: Die Landwirtschaft trägt unter anderem durch Methangas-Emissionen in der Tierhaltung oder durch Lachgas‑Emissionen, die bei der künstlichen Düngung entstehen, zur Erderhitzung bei. Mindern ließen sich die Emissionen unter anderem durch eine veränderte Feldbearbeitung, mit der mehr CO2 im Boden gebunden werden könnte.
Das ist die Idee: Die Initiative Climate Farmers wirbt für einen vermehrten Einsatz der regenerativen Landwirtschaft: In dieser Bewirtschaftungspraxis bleiben Felder zum Beispiel dauerhaft begrünt. So entsteht im Boden mehr CO2-bindende Wurzelmasse, die zudem länger Zeit hat, in tiefere Schichten zu wachsen. Dort dienen die Wurzeln als Nahrung für Bodenlebewesen und werden so zu Humus, der die Bodenstruktur verbessert. Die Climate Farmers werben europaweit für die positive Wirkung einer regenerativen Landwirtschaft. Zugleich helfen sie mit datengestützten Verfahren interessierten Landwirtinnen und Landwirten, ihre Betriebe auf diese Wirtschaftsform umzustellen – damit mehr CO2 im Boden gespeichert werden kann.
Das ist der Status: Das Start-up analysiert mit digitalen Mitteln die Bodennutzung in Europa sowie die Bodenbeschaffenheit vor Ort. Über ein Monitoringsystem soll der Nutzen der regenerativen Landwirtschaft, beispielsweise durch Einsatz von Satellitenbildern, für die Beteiligten sichtbar werden. Die Idee der Climate Farmers wurde unter anderem bei der Google.org Impact Challenge ausgezeichnet.
»Wir bringen die Landwirte Europas zusammen«
Ivo Degn, Gründer von Climate Farmers
MANYFOLDS AUS MÜNCHEN
Maßgeschneiderte Versandkartons
Das ist das Problem: Viele versendete Pakete sind größer, als sie es aufgrund ihres Inhaltes sein müssten. Weil sie mit Füllmaterial aus Styropor oder Plastik versehen werden und in Lieferfahrzeugen viel Platz benötigen, verursachen sie zusätzlich unnötige CO2‑Emissionen.
Das ist die Idee: Durch die Nutzung maßgeschneiderter Verpackungen will das Start‑up Manyfolds CO2 sparen. Über eine eigens entwickelte App ermitteln Nutzer:innen die Größe der zu verschickenden Ware per Bilderkennung. Aus den Daten generiert ein Programm automatisch ein Schnittmuster für eine angepasste Versandverpackung. Diese wird auf einem Plotter für Wellpappe ausgedruckt und dann gefaltet. Manyfolds vermietet die Plotter an die nutzenden Unternehmen.
Das ist der Status: Nach einer Pilotproduktion entwickeln die Gründer derzeit Software und Produktionsmaschine weiter. Aktuell baut Manyfolds über Abonnement-Pakete für Software und Hardware seinen Kundenstamm aus.
PLAN A AUS BERLIN
CO2-Fußabdruck berechnen und reduzieren
Das ist das Problem: Berechnungen des CO2‑Fußabdrucks von Unternehmen entstehen häufig manuell – wie Emissionen verringert werden können, bleibt unklar.
Das ist die Idee: Lubomila Jordanova und Nathan Bonnisseau gründeten Plan A, um eine Software zu entwickeln, die mithilfe einer Daten‑Management-Plattform die Emissionsberechnung, die CO2‑Reduktionsplanung und die ESG-Berichterstattung von Unternehmen automatisiert. Im Gegensatz zu anderen Anbietern liegt bei Plan A der Fokus auf der Dekarbonisierung: Ist ein Emissionsprofil erstellt, leitet die Software‑KI einen Aktionsplan mit konkreten Aktivitäten zur Einsparung von Emissionen ab.
Das ist der Status: Nach einer Finanzierungsrunde über drei Millionen US-Dollar im März 2021 warb Plan A im November weitere 10 Millionen US-Dollar ein, die unter anderem zur Entwicklung der Software sowie der Expansion dienen.
TOMORROW AUS HAMBURG
Smartphone-Banking für das Klima
Das ist das Problem: Banken investieren das Geld, das ihre Kund:innen auf dem Girokonto, Sparbuch oder in Aktienfonds anlegen, häufig noch in Unternehmen, die Geld mit dem Verkauf fossiler Energien verdienen.
Das ist die Idee: Inas Nureldin, Jakob Berndt und Michael Schweikart gründeten 2018 den Finanzanbieter Tomorrow Bank und entwickelten unter anderem das nach eigenen Angaben erste klimaneutrale Konto der Welt. Das FinTech investiert ausschließlich in soziale und ökologische Projekte – etwa in den Ausbau von sozialem Wohnraum. Für jeden Euro, den Kund:innen mit der Visa-Debitkarte von Tomorrow bezahlen, baut das Unternehmen derzeit ein Ökosystem am Ostkap von Südafrika wieder auf.
Das ist der Status: Tomorrow zählt inzwischen gut 120 000 Kund:innen. Mehr als 85 Millionen Euro hat das Unternehmen bislang in soziale und ökologische Projekte investiert, unter anderem wurden fast 100 Millionen Quadratmeter Regenwald bewahrt. Bald will Tomorrow zusätzlich zu den Bankdienstleistungen nachhaltige Aktienfonds anbieten.
»Der Sion wird Teil einer Mobilitätscloud«
Jona Christians, CEO und Mitgründer von Sono Motors (rechts im Bild)
SONO MOTORS AUS MÜNCHEN
Ressourcenschonend mobil dank Sonne
Das ist das Problem: Privatfahrzeuge mit Verbrennungsmotor stoßen allein in Deutschland jährlich mehr als 100 Millionen Tonnen CO2 aus. Und auch der Strom für Elektrofahrzeuge stammt noch zu großen Teilen aus fossilen Energiequellen.
Das ist die Idee: Das E-Auto Sion von Sono Motors lädt seine Batterie klassisch an der Ladesäule, kann seinen Speicher aber zusätzlich mit der Energie der Sonne füllen: Die Entwickler:innen arbeiteten 456 Solarhalbzellen nahtlos in die Karosserie ein, mit denen das Auto pro Woche bis zu 245 Kilometer an zusätzlicher Reichweite gewinnen soll. Wer nur wenige kurze Strecken fährt, kann idealerweise ohne Stromnetz mobil bleiben. Mithilfe einer intelligenten digitalen Infrastruktur soll der Sion auch für weitere Nutzer:innen als Carsharing-Auto oder als Stromquelle zugänglich werden – etwa für E-Roller-Fahrer:innen, die unterwegs laden möchten.
Das ist der Status: Im zweiten Halbjahr 2023 soll der Sion in niedriger vierstelliger Stückzahl aus der Fertigung rollen. In den Jahren darauf möchte Sono Motors mehr als 40 000 Sion pro Jahr herstellen. Bis Ende April 2022 verzeichnete das Start-up mehr als 17 800 Reservierungen.
EEVIE AUS DÜSSELDORF
Für klimafreundliche Unternehmenskulturen
Das ist das Problem: Viele Unternehmen nutzen kaum die Möglichkeit, ihre Mitarbeitenden zu klimafreundlichem Verhalten zu bewegen.
Das ist die Idee: eevie ist eine digitale Plattform, die Unternehmen hilft, eine klimafreundliche Unternehmenskultur zu schaffen. Erreicht wird dies mit unternehmensweiten Klimakampagnen, die Mitarbeitende einzeln oder als Teams mithilfe der eevie-App angehen: Die Anwendung erinnert daran, sich nachhaltiger durch den Alltag zu bewegen und auf Fleisch zu verzichten oder Wasser zu sparen. Klimapositives Verhalten wird unter anderem mit Saatlingen belohnt, welche die Teilnehmenden in der App, aber auch in echt pflanzen. Effekt der Challenges: Das erworbene Wissen beeinflusst auch den privaten Alltag.
Das ist der Status: eevie unterstützt Unternehmen wie Bayer oder DHL mit »Employee Climate Engagement«-Strategien. Insgesamt wurden mehr als 50 000 Bäume in Madagaskar, Haiti, Mosambik, Nepal und Indonesien gepflanzt.
CARBON INSTEAD AUS BERLIN
Nachhaltiger Beton durch Karbonisierung
Das ist das Problem: 15 Prozent der weltweiten CO2‑Emissionen entstehen bei der Produktion von Beton, dem weltweit meistverwendeten Baustoff.
Das ist die Idee: Die Carbon-Instead-Gründerin Julia Roth testet mit ihrem Team eine Möglichkeit, den CO2-Fußabdruck von Baustoffen zu senken, und widmet sich sogenannten Karbonisaten. Diese entstehen bei der Pyrolyse von Biomasse: Das thermische Verfahren wandelt einen Großteil des von Pflanzen aufgenommenen CO2 in einen Feststoff und ermöglicht so dessen langfristige Speicherung und Nutzung. Carbon Instead entwickelt Lösungen, um diese Karbonisate künftig in verschiedenen Baustoffen zum Einsatz zu bringen und deren Klimabilanz zu verbessern.
Das ist der Status: Carbon Instead wurde 2020 gegründet und arbeitet derzeit mit Industriepartnern und Institutionen wie dem Fraunhofer Institut für Bauphysik an der industriellen Umsetzung dieser Lösung.
CARGOKITE AUS MÜNCHEN
Riesensegel für Containerschiffe
Das ist das Problem: 77 Prozent des EU-Außenhandels werden auf dem Seeweg abgewickelt – ein Frachtschiff stößt nach Berechnungen von CargoKite auf einer Fahrt mehr CO2 aus als 65 000 Autos auf der gleichen Distanz.
Das ist die Idee: Kite-Surfer Marcus Bischoff entwickelte die Idee, Containerschiffe nicht mit Schweröl, sondern mit Wind anzutreiben: In 100 bis 300 Meter Höhe über dem Meer gibt es kaum Flauten. Große Drachensegel können dort so viel Wind einfangen, dass Schiffe dank eines neu konzipierten Rumpfs alleine durch diesen Antrieb an ihr Ziel gelangen. Zur Hafeneinfahrt ist zusätzlich ein Elektromotor an Bord.
Das ist der Status: Das Team von CargoKite arbeitet an der Entwicklung und Konstruktion des ersten Modell-Prototyps des Schiffs. Mit diesem möchte das Team das Steuerungs- und Regelungssystem testen und erweitern. 2023 will das Start-up einen Prototyp in der Größe eines Sportboots vorstellen.
»Intelligente Steuerungsprogramme lenken unsere Drachen«
Busso von Bismarck, Leiter Business Development bei Enerkite
ENERKITE AUS BERLIN
Automatisierte, fliegende Windkraftanlagen
Das ist das Problem: Nur sechs Prozent des Stroms weltweit werden derzeit aus Wind gewonnen.
Das ist die Idee: Nahezu jedes Land der Welt könnte ein Vielfaches seines Strombedarfs allein aus Windenergie decken, sagen die Macher von Enerkite: Sie haben Flugwindkraftanlagen entwickelt, die den zuverlässigen und starken Wind in rund 300 Meter Höhe nutzen, um Strom zu erzeugen.
Das ist der Status: 2023 geht der erste 100-kW-Enerkite-Prototyp in
Betrieb. Im Vergleich zu klassischen Windrädern sollen Enerkite-Anlagen doppelt so viel Ertrag liefern wie Windräder gleicher Leistung und dabei 95 Prozent des Materials einsparen. Mobile Enerkite-Anlagen könnten in Zukunft auch als Lademöglichkeit für elektrische Mobilität im ländlichen Raum oder in Katastrophengebieten zum Einsatz kommen.
RECUP & REBOWL AUS MÜNCHEN
Per App zum Mehrwegbecher
Das ist das Problem: Klassische Einwegbecher verursachen jedes Jahr 40 000 Tonnen Abfall.
Das ist die Idee: Recup/Rebowl ist ein nachhaltiges Pfandsystem für wiederverwertbare Mehrwegbecher und Mehrwegschalen und damit eine müllfreie Alternative.
Das ist der Status: Deutschlandweit lassen sich heute in fast 12 000 Cafés oder Restaurants Recups oder Rebowls gegen Pfand ausleihen und zurückgeben. Mit verschiedenen Lieferdiensten gibt es derzeit Testphasen, auf recup.de und in der App finden sich Ausgabestellen in der Nähe. Ein Recup ersetzt übrigens bis zu 1 000 Becher, eine Rebowl 500 Verpackungen.
ENPAL AUS BERLIN
Solarstrom für alle
Das ist das Problem: Hohe Anschaffungskosten halten viele Menschen davon ab, Photovoltaikanlagen auf dem Dach zu installieren – selbst wenn sie sich langfristig lohnen.
Das ist die Idee: Enpal vermietet Solaranlagen, Energiespeicher und Ladestationen für E-Autos an Privathaushalte, vernetzt und gesteuert durch eine intelligente Energieplattform. Die Abonnent:innen nutzen den erzeugten Strom für ihr Haus und E-Autos, das Unternehmen übernimmt die Installation, Wartung sowie anfallende Reparaturen.
Das ist der Status: Enpal ist derzeit laut »Financial Times & Statista« das am schnellsten wachsende Energieunternehmen in Europa. Rund 15 000 Anlagen sind bereits in Betrieb, bis 2030 will Enpal mindestens eine Million Häuser ausstatten.
BIOFABRIK AUS DRESDEN
Öl aus Plastik – mit Datenunterstützung
Das ist das Problem: In den 1950er-Jahren wurden 1,5 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr produziert, heute sind es fast 400 Millionen Tonnen pro Jahr. Ein Teil des Mülls landet im Meer – Schätzungen sprechen von einer Lastwagenladung pro Minute.
Das ist die Idee: Die mobile Recyclinganlage WASTX Plastic des Unternehmens Biofabrik verwandelt Kunststoffabfälle zu synthetischem Rohöl: Ein Kilogramm Plastikabfall wird zu einem Liter Öl, das als Basis für Recycling-Kunststoffe wieder dem Rohstoffkreislauf zugeführt wird. Die Maschinen wurden bislang in 38 Länder verkauft und arbeiten vernetzt: Aus der Distanz sind viele Daten abrufbar, von der Reaktortemperatur bis zu den Druckverhältnissen in einzelnen Segmenten. Verbesserungs- oder Erweiterungsmöglichkeiten werden online über Updates aufgespielt.
Das ist der Status: Sieben Jahre nach der Gründung ging das Dresdner Start-up 2018 mit der Recyclinganlage WASTX Plastic in Serienproduktion. Mittlerweile entwickelte die Unternehmensgruppe weitere Recycling-Verfahren: Die Anlage WASTX Oil zum Beispiel bereitet Altöle auf, eine Bioraffinerie gewinnt nachhaltigen Dünger aus dem Rohstoff Gras.
PLANTED AUS ZÜRICH/BERLIN
Vegetarische Ernährung mit viel Kundenfeedback
Das ist das Problem: Die Produktion tierischer Lebensmittel wie Fleisch, Wurst und Käse verursacht insgesamt rund 70 Prozent der ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen in Deutschland.
Das ist die Idee: Das Team von Planted produziert aus Proteinmehl, Pflanzenfasern, Rapsöl und Wasser pflanzliche Alternativen zu Fleisch. Diese sind unter anderem in Deutschland, der Schweiz, in Österreich oder Großbritannien in Restaurants und im Einzelhandel erhältlich. Zudem liefert Planted über einen Webshop europaweit. Alle angebotenen Produkte werden aus möglichst lokalen Zutaten ohne Verwendung künstlicher Zusätze hergestellt. Für die Produktion von »plantedchicken« zum Beispiel, einem Hähnchenfleischersatz, werden 74 Prozent weniger CO2 ausgestoßen und 46 Prozent weniger Wasser verbraucht als für das vergleichbare tierische Produkt. Permanentes Kundenfeedback hilft bei der Weiterentwicklung des Angebots.
Das ist der Status: Das Start-up wurde 2019 gegründet und zählt heute mehr als 170 Mitarbeiter:innen, von denen über 60 in Forschung und Produktentwicklung arbeiten. Das Unternehmen leistet nach eigenen Angaben mit einem neuartigen Biostructuring-Ansatz, der Proteinstrukturierung und Biotechnologie kombiniert, Pionierarbeit. Bis heute hat Planted rund 45 Millionen Euro an Investments eingesammelt.
Fotos: Biofabrik/Felix Adler (1), Sono Motors (3), Silvia Conde (3), Enerkite: Enerkite, Karsten Barthel, Planted (2)