Wie aus Daten Ideen werden
Die einen bringen Fahrgäste und Busse schneller zusammen, die anderen helfen Ärzten beim Diagnostizieren oder führen Kunden zu Kleidung, die ihnen wirklich gefällt: Wenn Daten analysiert und richtig verknüpft werden, entstehen Innovationen, die unseren Alltag verbessern
Die Nutzer mit jedem Klick besser verstehen
Wenn Tarek Müller eine Bühne Betritt – was bei einem wie ihm derzeit ziemlich häufig passiert –, geht es schnell um die Frage: Wie macht ihr das? Müller ist einer der Gründer des Fashion Online Shops About You. Und weil About You derart erfolgreich ist – mehr als 25 Millionen Nutzer sind monatlich auf der Website des Unternehmens aktiv, für das Geschäftsjahr 2019 wird ein Umsatz von mehr als 700 Millionen Euro erwartet – erhält Müller eine Auszeichnung nach der anderen: 2018 nahm Forbes ihn in die Liste der besten Unternehmer unter 30 Jahren auf, im September 2019 wurde er zum »CMO of the Year«, zum besten Markenstrategen des Jahres gekürt. Medien bezeichnen Müller als einen der »vielversprechendsten jungen Unternehmer Europas«. Also ist die Frage durchaus berechtigt: Wie macht About You das?
»Als wir 2014 starteten, glaubten wir bereits daran, dass das Smartphone das wichtigste Kaufgerät werden wird«, sagte Tarek Müller vor wenigen Monaten auf der Bühne eines Kongresses. Immerhin 40 Millionen Menschen in Deutschland benutzten damals ein Smartphone. Heute sind es mehr als 57 Millionen, und About You führt 80 Prozent des Umsatzes auf Smartphone-Bestellungen zurück. Wer heute als Online-Händler einen Platz auf den Telefonen der Menschen erobert, ist seinen möglichen Kunden so nah wie nie zuvor. Tarek Müller nutzt diese Nähe mit About You, so gut er nur kann: Er will den Einkaufsbummel weiter digitalisieren und vor allen Dingen auch personalisieren. Deshalb versteht sich das Unternehmen heute als Kreuzung zwischen Modehändler und Modemagazin.
Als wir 2014 starteten, glaubten wir bereits daran, dass das Smartphone das wichtigste Kaufgerät werden wird
Tarek Müller About You
Denn Mode wird anders konsumiert als beispielsweise ein Fernsehgerät: Der große Bildschirm ist ein Mittel zum Zweck und wird natürlich nicht in der gleichen Häufigkeit gekauft wie etwa ein Pullover oder Hemden. Wer 20 Hemden im Schrank hat, kann dennoch Interesse an Hemd 21 haben. Der Kauf von Mode bedeutet auch, zu entdecken, sich inspirieren zu lassen. An der Stelle setzt About You an: Kunden sollen in Inhalten und Angeboten stöbern können, die möglichst gut auf ihren Geschmack zugeschnitten sind. »Unser USP ist, dass wir den Kunden einladen, mit der App bei uns zu stöbern, und das Ganze immer weiter personalisieren«, sagte Müller dem Magazin Capital. »Wir verstehen den Kunden mit jedem Klick besser und machen dann Vorschläge mit Outfits und Produkten, die passen könnten.« Daten als Grundlage für neue Produkte und zufriedene Kunden: Der Hamburger Online-Versandhändler ist seit 2018 mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet. In der Unternehmenswelt spricht man in diesem Fall von einem Einhorn. In Deutschland eine noch seltene Spezies.
Mit einer App die eigene Gesundheit besser verstehen
Eine Branche, die noch Aufholbedarf hat, wenn es um Digitalisierung geht, ist die Gesundheitsbranche. Daniel Nathrath, Claire Novorol und Martin Hirsch erkannten dies bereits vor einiger Zeit und versuchen, daran etwas zu verändern. Im Jahr 2016 brachten sie »Ada« auf den Markt, eine Patienten-App. Ursprünglich wollten die drei Gründer eine Anwendung bauen, die Ärzte bei der Diagnose unterstützt, indem sie medizinisches Wissen und künstliche Intelligenz kombiniert. Entstanden ist aber eine Anwendung für Patienten, die auf Basis der vom Nutzer eingegebenen Informationen eine erste Anamnese vornehmen kann – um anschließend eine Diagnose oder, falls nötig, einen Arztbesuch vorzuschlagen. Die App wurde nicht entwickelt, um Ärzte zu ersetzen. Sie soll vielmehr Menschen helfen, ihre eigene Gesundheit besser zu verstehen und passende nächste Schritte für die richtige Behandlung zu finden.
Gut 60 Ärzte haben die medizinische Datenbank hinter Ada erstellt und befüllen sie weiterhin. Dank dieses Wissens kennt Ada Zehntausende Krankheiten. Während einer Symptomanalyse berücksichtigt das Programm eine Vielzahl von Gesundheitsinformationen des Patienten – zum Beispiel Alter, Geschlecht oder Risikofaktoren wie Vorerkrankungen. Grundlage der Technologie, mit der Ada arbeitet, ist ein sogenanntes probabilistisches System: Basierend auf der Häufigkeit einer Krankheit, den eingegebenen Symptomen und den Risikofaktoren des Patienten berechnet das Programm die wahrscheinlichste Ursache für die beschriebenen Symptome. Mit jeder neuen Information wird die Wahrscheinlichkeit neu berechnet. Die Krankheitsfälle, mit denen sich die Menschen an Ada wenden, seien vergleichbar mit denen, die auch in Arztpraxen vorkommen, sagen die Macher. Inzwischen verwenden weltweit mehr als acht Millionen Menschen Ada.
Besonders großes Potenzial sehen die Gründer im Bereich seltene Erkrankungen: Ada möchte Patienten und Ärzten helfen, schneller die richtige Diagnose zu finden. In Deutschland leiden etwa vier Millionen Menschen an einer seltenen Erkrankung, und im Schnitt muss ein Patient fünf bis sechs Jahre warten, um eine korrekte Diagnose gestellt zu bekommen. Dies liegt vor allem daran, dass es etwa 7000 seltene Erkrankungen mit vielen unterschiedlichen Symptomkonstellationen gibt. Ein Mensch kann sich diese Vielzahl an Informationen und Zusammenhängen nicht merken. Die Medizinische Hochschule Hannover hat kürzlich in einer Studie untersucht, ob und wie Ada bei der Erkennung von seltenen Erkrankungen unterstützen kann. Das Ergebnis: In vielen Fällen hätte Ada früher einen Hinweis auf eine mögliche seltene Erkrankung geben können.
Passagier und Bus gleichen ihren Standort ab und finden zusammen
Deutschland ist Autoland: Drei Viertel aller privaten Haushalte verfügen über mindestens einen Pkw, in jedem vierten Haushalt sind zwei oder mehr Autos vorhanden, weiß das Umweltbundesamt. Rund 80 Prozent der Verkehrsleistung gehen auf Autos und motorisierte Zweiräder zurück. Im März 2019 deutete Verkehrsminister Andreas Scheuer in einer Rede vor dem Bundestag an, dass dies nicht so bleiben könne, dass die Personenbeförderung modernisiert werden müsse. »Das Auto wird sicherlich anders gemanagt werden müssen«, so Scheuer. »Einen Mobilitätsmix wird es in der Zukunft mehr denn je geben, und das in ganz neuen Formen der Fortbewegung.« Die Digitalisierung, sagte Scheuer, werde dabei helfen.
Einen Mobilitätsmix wird es in der Zukunft mehr denn je geben, und das in ganz neuen Formen der Fortbewegung.
Andreas Scheuer Verkehrsminister
Das Szenario, das der Verkehrsminister da andeutete, ist in einigen deutschen Städten bereits Wirklichkeit. Smartphones und Algorithmen haben eine neue Mobilitätsbranche entstehen lassen. Die Anbieter heißen Uber, Free Now, CleverShuttle oder Moia. Moia zum Beispiel, eine VW-Tochter, ist ein sogenannter Ride-Pooling-Dienst, der in seinen elektrisch betriebenen Kleinbussen die Fahrten von verschiedenen Fahrgästen kombiniert: Die Kundinnen und Kunden teilen sich ein Fahrzeug und damit auch die Kosten. Das System ermittelt aus den angegebenen Start- und Zieladressen die für alle beste Route. Wer zusteigen möchte (derzeit gibt es Moia in Hannover und Hamburg), installiert die App auf seinem Smartphone, erlaubt den Zugriff auf den aktuellen Standort und gibt sein Ziel ein. Im nächsten Schritt wird der nächstgelegene Einstiegspunkt angezeigt.
Dass solche Modelle Sinn ergeben, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts: Knapp 70 Prozent aller Berufstätigen in Deutschland pendeln mit dem eigenen Auto – und fahren meist alleine. Hinzu kommt, dass in Städten laut Umweltbundesamt die Hälfte aller Autofahrten kürzer als fünf Kilometer ist. Grund genug, über die moderne Form der Fahrgemeinschaft nachzudenken.
Illustration: Birgit Henne; Animation: Gui Athayde; Screenshots: www.aboutyou.de, Ada